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Die Geschichte hinter der Schließung von Tavistock

Published On: 4. August 2022 18:32

In der Transgender-Klinik Tavistock wurden Kinder und Jugendliche mit Geschlechtsidentitätsstörungen behandelt. Die seit längerem in der Kritik stehende Skandal-Klinik muss nun schließen. Offenbar wurden dort leichtfertig und fahrlässig schwerste Eingriffe vorgenommen – auch gegen die Interessen der Patienten.

In Großbritanniens einziger Transgender-Klinik „Tavistock“ wurden seit der Gründung im Jahr 1989 über 9.000 Kinder und Jugendliche mit Geschlechtsidentitätsstörungen behandelt, bevor der britische National Health Service (NHS) nach Durchführung eines umfangreichen Gutachtens vor kurzem beschlossen hat, den Betrieb nun endlich einzustellen. Dr. Hilary Cass, die die Untersuchungen leitete, war zu dem Schluss gelangt, dass die Klinik einen gänzlich gender-affirmativen Ansatz verfolgte, der psychische Probleme als Grund für den Geschlechtsumwandlungs-Wunsch ihrer kleinen Patienten außer Acht ließ und völlig unkritisch Pubertätsblocker an Minderjährige ausgab, ohne dass die Folgen der Medikamente ausreichend erforscht sind – ein vernichtendes Urteil für die Klinik. Und ein Erfolg für all jene, die seit Jahren die Behandlungspraktiken kritisiert hatten. Das Gutachten kam nicht aus heiterem Himmel. Es war nur möglich, weil einzelne mutige Menschen, ehemaliges Personal und Patienten der Klinik, mit ihren Geschichten an die Öffentlichkeit gegangen sind.

„could become biggest medical scandal“

Die erste, die den Mut aufbrachte, ihre Stimme gegen die Klinik zu erheben, war die Krankenschwester Sue Evans. Sie hatte während ihrer Anstellung bei Tavistock eine zeitlang für den Gender Identity Development Service (GIDS) gearbeitet und konnte ihre Bedenken nicht länger für sich behalten. Als sie dem GIDS-Team beigetreten war, hatte Evans nach eigenen Aussagen erwartet, „dass die jungen Menschen über mehrere Jahre eingehend bewertet, unterstützt und psychologisch behandelt werden“ – doch das war nicht der Fall. Das erste Mal, dass bei ihr die „Alarmglocken“ schrillten, war, als ein Kollege ihr bei der Teamsitzung sagte, dass ein junger Patient, nachdem sie ihn nur viermal gesehen hatten, nun für die Hormonbehandlung an die Endokrinologie-Abteilung überwiesen werden solle.

Sue Evans versuchte ihre Bedenken zunächst gegenüber ihren Kollegen zum Ausdruck zu bringen und bat sie, die Auffassungen der Kinder und Jugendlichen nicht sofort zu bestätigen und gegenüber anderen Fachleuten auch nicht ohne weiteres den neuen Namen und das gewählte Geschlecht zu benutzen – sie wollte die Kinder und ihre Familien unterstützen, ihre Schwierigkeiten ergründen und verstehen und sie dann an geeignete Fachleute überweisen. Doch das brachte ihr Ärger ein: Neben der Drohung, von einem Patienten verklagt zu werden, fühlte sie sich von Teilen ihrer Kollegen völlig entfremdet. Es wurde offensichtlich, dass es einen enormen Druck auf das Personal gab, dem viele Kollegen nachgaben. Druck von den notleidenden Patienten, manchmal auch den Familien, aber wohl am meisten von Pro-Trans-Gruppen und „Wohltätigkeitsorganisationen“, die einen „unangemessenen Einfluss“ auf den Behandlungsansatz der Klinik zu haben schienen. Laut Evans waren zum Teil auch leitende Mitarbeiter des GIDS bei bestimmten Organisationen wie „Mermaids“ oder „Gendered Intelligence“ aktiv.

Deshalb brachte Evans ihre Bedenken schließlich dem Klinik-Management vor. Im Jahr 2004 kam es deshalb zu einer internen Untersuchung, doch es änderte sich nichts. Sue Evans hielt die Situation schließlich nicht mehr aus und kündigte ihren Job, trotz Sorgen um die Patienten und ihre Familien, um ihre eigene psychische Gesundheit zu schützen. Erst Jahre später regte sich etwas in den Reihen des Führungsstabs von Tavistock. 2019 legte Dr. David Bell, der im Vorstand der Klinik war, in einem internen Bericht dar, dass Patienten „langfristige Schäden“ erlitten, weil der GIDS dem Druck von „hoch politisierten Aktivisten“ und Familien nicht standhielten. Bell hatte sich der Sache angenommen, nachdem etwa ein Drittel seiner Mitarbeiter mit „beunruhigenden“ Behauptungen zu ihm gekommen sei. Sie sagten ihm, dass die Klinik psychisch kranken Kindern einen Schaden zufügen würde, weil der Geschlechtswunsch ungefragt bestätigt werde. Viele der betroffenen Kinder und Jugendlichen seien Mädchen gewesen und wiesen eine Geschichte von Depressionen, Autismus, Traumata und eine Geschichte von sexuellem Missbrauch oder verinnerlichter Homophobie auf.

Risiken des Selbstbestimmungsgesetzes

Doch wieder änderte sich nichts. Obwohl Bells Bericht zu einer Überprüfung durch den medizinischen Direktor des Trusts, Dinesh Sinha, führte und dieser zugab, dass die Fallzahlen der Mitarbeiter „übermäßig“ waren und es Lobbyarbeit von Interessengruppen gab – man kam trotzdem zu dem Schluss, dass der Dienst sicher war. Dr. Bell wurden währenddessen Disziplinarmaßnahmen angedroht und er erhielt Mobbing-Vorwürfe – seine Mitarbeiter waren eingeschüchtert. Noch im selben Jahr trat dann der beratende Psychotherapeut Marcus Evans, der Mann von Sue Evans, aus Protest gegen die Reaktion der Klinikleitung gegenüber den kritischen Ärzten zurück. Er beschuldigte die Klinik, ein „Klima der Angst“ zu schaffen und zu versuchen, Bedenken „abzuwehren und zu untergraben“. Gleichzeitig unterzeichneten 25 andere Kliniker einen Brief, in dem sie sich, wie Evans, über die Haltung der Manager beschwerten.

Auch die klinische Psychologin Dr. Kirsty Entwistle ging mit einem offenen Brief über das, was sie bei Tavistock erlebt hatte, an die Öffentlichkeit. Sie bestätigte, dass der Trans-Wunsch der Kinder und Jugendlichen nicht hinterfragt werde, und warf der Klinik vor, dass den Patienten gesagt werde, dass die Wirkung der Pubertätsblockern vollständig reversibel sei – aber das entspricht nicht der Wahrheit. Wenig später startete die Krankenschwester Sue Evans mit „Frau A.“, der Mutter einer 15-jährigen Tavistock-Patientin, die erste Klage gegen die Klinik. Sie wollten erreichen, dass anerkannt wird, dass Minderjährige nicht in der Lage sind, Risiken und Folgen der medikamentösen Behandlung mit Pubertätsblockern abzuschätzen und man die Medikamente deshalb nicht mehr verschreiben dürfte.

Erst drei Jahre später, nach dem Gutachten der NHS, wurden Konsequenzen gezogen. In der Zwischenzeit konnten in der Tavistock-Klinik weiter ungehindert und völlig unhinterfragt Kinder ab dem zarten Alter von nur zehn Jahren mit geschlechtsangleichenden Maßnahmen behandelt, und damit in lebensverändernde, irreversible Entscheidungen gedrängt werden. Eines dieser Kinder ist die heute 25-jährige Keira Bell. Als sie mit nur 16 Jahren in der Klinik aufgenommen wurde, sei sie nach eigenen Angaben „psychisch sehr krank“ gewesen, doch anstatt das näher zu untersuchen, wurde sie sofort trans-affirmativ behandelt. Keiras Leid hatte mit 14 angefangen, als sie in die Pubertät kam – der eigene Körper fühlte sich damals fremd für sie an, sie litt unter schweren Depressionen und Angstzuständen. Ihre Mutter war Alkoholikerin und psychisch krank, ihr Vater emotional abwesend – Keira war einsam und zog sich immer mehr zurück. Sie ging nicht mehr zur Schule und nicht mehr nach draußen. Ihre Mutter und die neue Frau ihres Vaters brachten sie damals auf die Idee, ob sie nicht ein Junge sein wollte.

Keira sagte ja. Sie dachte, der Geschlechtswechsel würde ihr Kraft und Kontrolle über ihr Leben zurückgeben, am Ende brachte er ihr aber nur noch mehr Leid. Keira bekam bei Tavistock mit 16 Jahren Pubertätsblocker, mit 17 Testosteron und ließ sich mit 20 schließlich operativ die Brüste entfernen. Ein Jahr später wurde ihr klar, dass sie trotz OPs niemals ein Mann sein würde und dass ihre psychischen Probleme der Grund für ihren Wunsch gewesen waren, kein Mädchen mehr zu sein. Sie hatte einen schrecklichen Fehler begangen – einen, den sie nie wieder rückgängig machen konnte. Die Risiken und Folgen für ihr ganzes weiteres Leben konnte Keira mit 16 Jahren noch nicht abschätzen – die Mitarbeiter bei Tavistock hätten es gekonnt, doch die bestätigten sie nur in ihrem Trans-Wunsch.

Heute ist Keira wegen der Behandlung möglicherweise unfruchtbar. Sie hat ihre Brüste verloren, ist stillunfähig, hat verkümmerte Genitalien, eine dauerhaft veränderte Stimme und Gesichtsbehaarung. Um andere Kinder und Jugendliche vor ihrem Schicksal zu bewahren, zog Keira schließlich vor Gericht. Bell gewann den Gerichtsprozess gegen die Klinik und bekam vom High Court Recht, dass Jugendliche „mit größter Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage (seien), die Tragweite und Risiken der Einnahme von Pubertätsblockern zu erfassen und ihre Zustimmung dazu zu geben“. Das Urteil stellte fest, dass vor der Behandlung mit den wenig erforschten Medikamenten kurzzeitig die Genehmigung eines Gerichts einzuholen sei – aber es wurde in der zweiten Instanz wieder gekippt. Keira sagte später, dass es für sie trotzdem ein Sieg war, denn zumindest war ihre Geschichte an die Öffentlichkeit gelangt und konnte so vielleicht andere Teenager berühren.

Dass die Tavistock-Klinik nun endlich geschlossen wird, ist jedem einzelnen Menschen zu verdanken, der sich trotz Repressalien dazu entschieden hat, seine Erfahrungen, seine Leidensgeschichte und Kritik öffentlich zu machen. Diese Menschen haben dazu beigetragen, dass nun vielleicht weniger Kinder in Großbritannien, die eigentlich nur unter pubertätstypischen Rollenkonflikten und psychischen Problemen leiden, zu lebenseinschneidenden und -verändernden Entscheidungen und Behandlungen gedrängt werden, die mitunter schreckliche Folgen für die Betroffenen haben können. Allein die Pubertätsblocker können die Knochendichte und Gehirnentwicklung der Kinder beeinträchtigen. An einer schwedischen Klinik fand man zudem heraus, dass betroffene Kinder Leberschäden aufwiesen und stark an Gewicht zunahmen. Und das sind nur die Blocker – die Operationen, bei denen man gesunden Kindern und Jugendlichen ihre Geschlechtsorgane entfernt, haben noch viel gravierendere Auswirkungen: physische wie psychische gleichermaßen.


Sollten Sie das Gefühl haben, dass Sie Hilfe benötigen, kontaktieren Sie unbedingt die Telefonseelsorge. Unter der kostenfreien Rufnummer 0800-1110111 oder 0800-1110222 bekommen Sie Hilfe von Beratern, die Ihnen Hilfe bei den nächsten Schritten anbieten können. Hilfsangebote gibt es außerdem bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention. Im Netz gibt es – Beispielsweise bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe – auch ein Forum, in dem sich Betroffene austauschen können.

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