transition-tv-news-nr-88-vom-5.-september-2022Transition TV News Nr. 88 vom 5. September 2022
unglaublich,-wen-und-was-man-heute-alles-zur-anzeige-bringen-kannUnglaublich, wen und was man heute alles zur Anzeige bringen kann
das-cancel-gift,-das-uns-zersetzt

Das Cancel-Gift, das uns zersetzt

Published On: 6. September 2022 0:01

Veröffentlicht am 6. September 2022 von LK.

Der folgende Text ist zuerst auf der Internetseite des Netzwerks KRiSTA erschienen. Transition News durfte ihn mit freundlicher Genehmigung des Netzwerk-Gründers Dr. Pieter Schleiter übernehmen.

Ausgeladene Redner, gesperrte Twitter-Konten und kritische Hochschullehrer, die ihre Meinung zum Thema Corona nicht mehr frei äussern dürfen – Cancel Culture und Cancel Science sind seit zweieinhalb Jahren weit verbreitete Phänomene. Das Netzwerk Kritischer Richter und Staatsanwälte n.e.V. (KRiSTA) hat sich damit befasst, wie sich diese Praktiken auf unsere Demokratie auswirken. Detailliert legen sie dar, worum es sich hierbei handelt.

Ein Künstler möchte mit seinem Auftritt ein Publikum erreichen. Ein Wissenschaftler möchte mit seinen Abhandlungen – ob in Schrift oder in Vorträgen – einen Beitrag zum fachlichen Diskurs leisten.

Dies missfällt anderen. Entweder, weil sie die fachlichen Inhalte nicht teilen, weil sie diese für rechtswidrig erachten, weil sie die künstlerische Darstellung vielleicht für geschmacklos halten, oder weil sie – unabhängig von den konkreten fachlichen oder künstlerischen Inhalten – die Person nicht mögen und sie daher nicht zu Wort kommen lassen wollen. Man möchte nicht, dass diese Person öffentlich Gehör findet.

Umgesetzt wird diese Verhinderung des öffentlichen Gehörs im Wesentlichen durch zwei Mechanismen:

  • Entweder wollen der Veranstalter des künstlerischen Auftrittes oder des Vortrages beziehungsweise der Verlag, der Herausgeber oder die Redaktion eines Fachmediums in eigener Person das öffentliche Gehör unterbinden; dann haben sie selbst die Möglichkeiten dazu, aufgrund der regelmässig bestehenden Vertragsautonomie keine Verträge mit den betreffenden Personen zu schliessen.
  • Oder, wenn bereits bereits ein Vertrag geschlossen wurde, kommt es mitunter zur Kündigung, zum rein faktischen Absagen oder Unterbinden von Veranstaltungen oder Vorträgen, mitunter unter Verweis auf die fehlende Möglichkeit, durch äussere Einflüsse die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten; oder eine andere Personen oder Interessengruppen, die nicht unmittelbar Vertragspartner sind, üben gesellschaftlichen Druck auf den Veranstalter, Verlag etc. aus, um diesen dazu zu bewegen, seinerseits der betroffenen Person das öffentliche Gehör nicht zuteil werden zu lassen, sie also auszugrenzen aus dem Debattenraum.

Im weiteren Sinne lässt sich unter dem Begriff Cancel Culture auch das Unterbinden oder Löschen von Nachrichten in sozialen Netzwerken verstehen. Insbesondere das 2017 in Kraft getretene Netzwerkdurchsetzungsgesetz zwingt die Betreiber von sozialen Netzwerken dazu, vor allem rechtswidrige Inhalte zu unterbinden. Daneben gibt es eine Vielzahl von weitergehenden vertraglichen Regelungen, die über allgemeine Geschäftsbedingungen Geltung beanspruchen und deutlich über das gesetzlich notwendige Mass hinaus die Äusserung und Verbreitung von Inhalten beschneiden, so beispielsweise die «Community-Richtlinien» von YouTube.

Insgesamt wird Cancel Culture und Cancel Science daher mitunter auch mit Absage-, Lösch- oder Zensurkultur übersetzt. Eine Sonderform für einen Teilbereich, allerdings verbunden intensiveren Rechtseinbussen für die betroffene Person, ist das sogenannte «Deplatforming». Hierunter ist der dauerhafte Ausschluss einzelner Personen oder Gruppen von zumeist digitalen Plattformen wie sozialen Netzwerken oder anderen Online-Diensten zu verstehen.

Als einige der vielen Beispiele von Cancel Culture oder Cancel Science können genannt werden:

  • Der Fall Lisa Eckert: Lisa Eckert war im Sommer 2020 vom Hamburger Literaturfestival Harbour Front wegen angeblicher Sicherheitsbedenken ausgeladen worden und vermeintlich auch, weil offenbar andere Autoren nicht mit ihr gemeinsam auftreten wollten, wohl weil sie angeblich rassistische und antisemitische Klischees bediene.
  • #allesdichtmachen: Die heftigen Reaktionen auf die Aktion #allesdichtmachen von 50 Künstlern aus dem Jahre 2021, reichten bis hin zu Forderungen, TV-Verträge mit den beteiligten Schauspielern aufzukündigen.
  • Achgut.com: Im Juni 2022 hatte offenbar ein anonymer Twitter-User mit einem fragwürdigen Tweet mit Erfolg einen Mechanismus in Gang gesetzt, an dessen Ende dem grossen Online-Blog «Die Achse des Guten» der Werbepartner Audi sowie der einzige Anzeigenpartner die Zusammenarbeit gekündigt hat. Hierbei wurde auch bekannt, dass Audi nach Auskunft einer dortigen Mitarbeiterin sogenannte «Inklusions- und Exklusionslisten» führt.
  • Der Fall Humboldt-Universität und Marie-Luise Vollbrecht: Die Biologin sollte während der langen Nacht der Wissenschaften im Juli 2022 an der Humboldt-Universität zu Berlin einen Fachvortrag zum Thema Geschlecht und Gender halten. Aufgrund von Protesten durch Aktivisten wurde der Vortrag durch die Universität abgesetzt.
  • Jüngstes Beispiel ist der Fall Hans-Georg Maaßen. Am 22. August 2022 hat das Portal Legal Tribune Online (LTO) einen Artikel veröffentlicht, der als Verbreitung der Forderung unter anderem juristischer Verbände zu verstehen ist, der Fachverlag C. H. Beck solle die Zusammenarbeit mit Maaßen beenden.

Nutzen und Schaden für unsere Demokratie

Einerseits ist es erforderlich, rechtswidrige, insbesondere strafbare Inhalte – ob analog oder digital – zu unterbinden und hierfür entsprechende Mechanismen zu etablieren. Andererseits ist es zwingend notwendig und konstitutive Voraussetzung einer Demokratie, dass Menschen ihre Meinung frei äussern können (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG), dass Wissenschaftler ihre Thesen und Herleitungen ungehindert darlegen und am wissenschaftlichen Diskurs teilnehmen können (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG), und auch, dass Künstler sich in ihrer Profession ausdrücken und dabei auch ihr Publikum erreichen können (ebenso Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG).

So formulierte bereits 1966 das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Parteienfinanzierung zu Art. 5 Abs. 1 GG:

«Das durch Art. 5 GG gewährleistete Recht der freien Meinungsäusserung, Presse-, Rundfunk-, Fernseh- und Filmfreiheit sind für eine freiheitliche demokratische Staatsordnung schlechthin konstituierend (BVerfGE 5, 85 (134 f., ‹205›; 7, 198 (208); 12, 113 ‹125›). Art. 5 GG garantiert auch die freie Bildung der öffentlichen Meinung (BVerfGE 8, 104 ‹112›).

Aus dem Grundrecht der freien Meinungsäusserung ergibt sich ein grundsätzliches Recht der freien politischen Betätigung (BVerfGE 5, 85 ‹134 f.›). Meinungsfreiheit, Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Petitionsrecht sichern die Freiheit der Meinungs- und Willensbildung des Volkes. Art. 21, 38 und 28 GG schützen zusätzlich die freie Willensbildung des Volkes.

Die in der öffentlichen Meinung zum Ausdruck kommenden Zielvorstellungen, politischen Auffassungen und Stellungnahmen sind als ‹Vorformung der politischen Willensbildung des Volkes› gekennzeichnet worden (vgl. BVerfGE 8, 104 ‹113›). In einem demokratischen Staatswesen muss sich insbesondere die Willensbildung des Volkes frei, offen und unreglementiert vollziehen […]»

Zur Wissenschaftsfreiheit führte das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss über jugendgefährdende Schriften aus dem Jahr 1994 aus:

«Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG schützt aber nicht eine bestimmte Auffassung von Wissenschaft oder eine bestimmte Wissenschaftstheorie. Das wäre mit der prinzipiellen Unvollständigkeit und Unabgeschlossenheit unvereinbar, die der Wissenschaft trotz des für sie konstitutiven Wahrheitsbezugs eignet (vgl. BVerfGE 35, 79 ‹113›; 47, 327 ‹367 f.›).

Der Schutz dieses Grundrechts hängt weder von der Richtigkeit der Methoden und Ergebnisse ab noch von der Stichhaltigkeit der Argumentation und Beweisführung oder der Vollständigkeit der Gesichtspunkte und Belege, die einem wissenschaftlichen Werk zugrunde liegen.

Über gute und schlechte Wissenschaft, Wahrheit oder Unwahrheit von Ergebnissen, kann nur wissenschaftlich geurteilt werden (vgl. BVerfGE 5, 85 ‹145›). Auffassungen, die sich in der wissenschaftlichen Diskussion durchgesetzt haben, bleiben der Revision und dem Wandel unterworfen. Die Wissenschaftsfreiheit schützt daher auch Mindermeinungen sowie Forschungsansätze und -ergebnisse, die sich als irrig oder fehlerhaft erweisen. Ebenso geniesst unorthodoxes oder intuitives Vorgehen den Schutz des Grundrechts. Voraussetzung ist nur, dass es sich dabei um Wissenschaft handelt; darunter fällt alles, was nach Inhalt und Form als ernsthafter Versuch zur Ermittlung von Wahrheit anzusehen ist (vgl. BVerfGE 35, 79 ‹113›; 47, 327 ‹367›).»

Beide Notwendigkeiten – das Unterbinden rechtswidriger Inhalte sowie die möglichst weitgehende Gewährung der Grundrechte von Meinungsfreiheit, Kunstfreiheit und Wissenschaftsfreiheit – stehen daher in einem erheblichen Spannungsverhältnis. Die Bestimmung dessen, was noch zulässig sein muss bzw. bereits nicht mehr zulässig sein darf, ist ein schwieriges Unterfangen – eine Wanderung auf einem schmalen Grat, die der Gefahr ausgesetzt ist, (politisch) missbraucht zu werden, sowohl von staatlichen Akteuren als auch privaten grösseren Playern, welche über die sogenannte mittelbare Drittwirkung der Grundrechte diese in gewissem Masse beachten müssen.

Derzeit scheint sich diese Gefahr in erheblichem Umfang zu realisieren. So erklärte der Geschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Alexander Skipis, bei einer Debatte zum Internationalen Tag der Pressefreiheit am 3. Mai 2021 in Berlin: «Das ist das Gift, das uns gerade zersetzt», wer sich darauf einlässt, überlasse den Raum denen, «die diesen Terror [gemeint: Cancel Culture] verbreiten».

Gegen das Phänomen Cancel Culture haben sich Projekte gegründet. So wurde der «Appell für freie Debattenräume» am 1. September 2020 im Internet auf der Seite Intellectual Deep Web Europe veröffentlicht. Hierbei handelt es sich um die deutsche Adaption des zuvor in den Vereinigten Staaten gestarteten Projekts «A Letter on Justice and Open» des US-Amerikaners Thomas Chatterton Williams.

Unter dem Hashtag #CancelCancelCulture wurde der Aufruf ab Herbst 2020 auf Twitter beworben. Er richtet sich – wie der Name vermuten lässt – gegen Cancel Culture. Ferner hat sich im Februar 2021 das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit e.V. gegründet. Hierbei handelt es sich um einen Zusammenschluss von mittlerweile über 700 Professoren und Doktoren mit dem gemeinsamen Anliegen, die Freiheit von Forschung und Lehre gegen ideologisch motivierte Einschränkungen zu verteidigen und zur Stärkung eines freiheitlichen Wissenschaftsklimas beizutragen.

In seinem Manifest formuliert das Netzwerk unter anderem Folgendes:

«Wir beobachten, dass die verfassungsrechtlich verbürgte Freiheit von Forschung und Lehre zunehmend unter moralischen und politischen Vorbehalt gestellt werden soll. Wir müssen vermehrt Versuche zur Kenntnis nehmen, der Freiheit von Forschung und Lehre wissenschaftsfremde Grenzen schon im Vorfeld der Schranken des geltenden Rechts zu setzen.»

Einzelne beanspruchen vor dem Hintergrund ihrer Weltanschauung und ihrer politischen Ziele, festlegen zu können, welche Fragestellungen, Themen und Argumente verwerflich sind. Damit wird der Versuch unternommen, Forschung und Lehre weltanschaulich zu normieren und politisch zu instrumentalisieren. Wer nicht mitspielt, muss damit rechnen, diskreditiert zu werden. Auf diese Weise wird ein Konformitätsdruck erzeugt, der immer häufiger dazu führt, wissenschaftliche Debatten im Keim zu ersticken.»

Das jüngste Beispiel Hans-Georg Maaßen

Hans-Georg Maaßen ist einer von 40 Kommentatoren des seit 2009 im Verlag C. H. Beck aufgelegten Grundgesetzkommentars Epping/Hillgruber, gegenwärtig in der dritten Auflage; mittlerweile ein gut etablierter Kommentar. Die vierte Auflage wird derzeit bearbeitet. Offenbar wollen mehrere Personen und Gruppierungen nicht, dass Hans-Georg Maaßen dort weiter als Autor tätig ist. Der am 22. August 2022 erschienene Artikel bei LTO fasst solche Stimmen zusammen, gibt ihnen – auch durch die Art und Weise der Darstellung – Gewicht und vermittelt dem Leser den Eindruck, dass LTO – durchaus nicht unparteiisch – diese Forderung auch selbst gegenüber dem Verlag C. H. Beck äussert.

So trägt der Artikel die grosse Überschrift «Beck-Verlag soll die Zusammenarbeit mit Hans-Georg Maaßen aufkündigen». Erst bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass vor der Überschrift in deutlich kleinerem Schriftbild noch die Worte «Juristische Berufsverbände und Jura-Fachschaften appellieren» stehen.

Es folgt die Bildunterschrift und die Einleitung: Maaßen warne vor Masseneinwanderung und «dürfe» im Beck-Verlag das Asylgrundrecht kommentieren. Fachkundige Autoren würden sich von ihm abwenden, Anwälte und Richter massive Kritik üben. Trotz seiner «umstrittenen» politischen Ansichten wolle der Verlag auf den «CDU-Rechtsaussen» und Ex-Verfassungsschützer als Kommentator nicht «verzichten».

Erinnernd an die überkommenen formalen Beweisregeln, an welche der Richter gebunden war, «dreier Zeugen Mund tut Wahrheit kund», folgt eine Aneinanderreihung von Meinungen Dritter, unter anderem des Mitkommentators Stefan Huster, der Rechtsanwältin Kati Lang, des Spiegel, des Bundesverbandes der Jura-Fachschaften, der Neuen Richtervereinigung und des Deutschen Anwaltvereins.

Die Essenz: Maaßen solle durch seine öffentlichen Äusserungen der letzten Jahre rechtspopulistische Narrative bedient haben, mit juristisch unhaltbaren Auffassungen die Axt an die Wurzel von Demokratie und Rechtsstaat gelegt haben, solle nur noch fragwürdig auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, solle sich radikalisiert haben und ins Lager der Verschwörungstheoretiker abgedriftet sein.

Der Beck-Verlag solle die Zusammenarbeit mit Maaßen aufkündigen. Dieser allerdings weigere sich anscheinend. So solle dieser mitgeteilt haben: «Als juristischer Fachverlag stehen wir für eine pluralistische und freie wissenschaftliche Diskussionskultur, solange sich diese im verfassungsrechtlichen Rahmen bewegt.» Es fällt auf, dass es sich bei den vorgenannten Begrifflichkeiten der «Essenz» um framende, diskreditierende Werturteile handelt, die allesamt der Auslegung zugänglich sind und die jeder anders interpretiert. In jedem Fall aber sind sie negativ besetzt – aber kaum beziehungsweise nur schwer justitiabel. Beispiele, welche die Grundlage dieser Werturteile bilden sollen, sind in dem Artikel nur wenige vorhanden.

In diesem Zusammenhang möchten wir klarstellen, dass das Netzwerk KRiStA die politischen Ansichten Maaßens nicht bewertet, sondern lediglich nüchtern «den Fall» analysiert. Es geht um die Frage, wie ein Teil der Gesellschaft mit einem Menschen umgeht, dem er keinerlei rechtswidriges Verhalten vorwirft, sondern lediglich dessen (politische) Ansichten nicht teilt. Im weiteren Sinne geht es daher letztlich auch um die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Wollen wir die Vielfalt der Meinungen? Oder wollen wir Meinungsvielfalt, aber bitteschön nur die richtige? Und wer bestimmt dann, was die richtige Meinung ist? Das Grundgesetz ist insoweit eindeutig. Solange sie sich im Rahmen des Rechts bewegt, muss jede Meinungsäusserung möglich sein, ohne ein Übermass an Repression.

Bemerkenswert: Die viel entscheidendere Frage, nämlich die fachliche Eignung von Maaßen, die Expertise, als Grundgesetzkommentator tätig zu sein, wird mit keinem Wort in Abrede gestellt. Maaßen kommentiert das Werk seit 2009, gegenwärtig in dritter Auflage und bislang ohne fachliche Beanstandung. Den Kritikern stünde es offen, in den frei verfügbaren Text einzusteigen, nach fachlichen Fehlern zu suchen und sie gegebenenfalls zu benennen.

Auch könnte das angeführte befürchtete unzulässige Durchschlagen von politischen Ansichten auf die juristische Kommentierung an konkreten Stellen benannt werden, sofern derlei existiert. All das passiert aber nicht. Allein angesichts seiner erheblichen Praxiserfahrung auch als ehemaliger Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz dürfte der im öffentlichen Recht promovierte Maaßen eigentlich eine bereichernde Perspektive in die Kommentierung einbringen.

Halten wir fest: Ein Autor möchte durch den Fortbestand seiner Kommentierung in einem Grundgesetzkommentar von seiner Wissenschaftsfreiheit Gebrauch machen. Hiergegen wird gesellschaftlicher Druck auf den Verlag durch Personengruppen und Medien ausgeübt. Der Grund hierfür liegt in rechtmässigen (!) Äusserungen des Autors, welche diese Personengruppen und Medien aber nicht teilen beziehungsweise ablehnen. Damit ist jedenfalls mittelbar auch die Meinungsfreiheit beeinträchtigt. Denn dieser Autor oder andere Autoren in ähnlicher Lage werden sich in Zukunft gründlich überlegen, was sie öffentlich äussern, um nicht (wieder) in eine ähnliche Lage zu geraten.

Fazit: Cancel Culture und Cancel Science stellen in der gegenwärtigen Ausprägung eine Bedrohung für den demokratischen Diskurs und damit unsere Demokratie insgesamt dar. Die Gesellschaft sollte mit diesem Phänomen wachsam umgehen und selbst aktiv pluralistische Meinungsäusserungen, wissenschaftliche und künstlerische Beiträge einfordern. Die Menschen müssen wieder lernen, andere Meinungen auszuhalten und sich argumentativ mit ihnen auseinanderzusetzen. Nur so gelingt der gesellschaftliche Diskurs. Andernfalls tritt Ideologie anstelle von Aufklärung. Dem Beck-Verlag ist zu wünschen, dass er an seinem zutreffenden Grundrechtsverständnis, insbesondere an seinem Verständnis von Wissenschaftsfreiheit, festhält.

********************************

KRiSTA ist ein Netzwerk von kritischen Richtern und Staatsanwälten, die mit grosser Sorge das politische Handeln und das Handeln der Gesetzes- und Verordnungsgeber in der Corona-Krise aus rechtsstaatlicher Sicht mit beobachten. Die darin vertretenen Richter und Staatsanwälte setzen sich für das Grundgesetz und die freiheitliche demokratische Grundordnung ein. Dabei vertreten sie ihre private Meinung. Das Netzwerk bezeichnet sich als politisch neutral und grenzt sich nach eigenen Angaben ausdrücklich von jedweder extremen Strömung ab. Die kritischen Richter und Staatsanwälte fordern eine faktenbasierte, offene, pluralistische und sachliche Diskussion juristischer Fragestellungen der Corona-Krise. Längerfristig, über die Corona-Krise hinaus, wollen sie gemeinsam mit anderen gesellschaftlichen Gruppen und der Politik Lösungen für bedeutsame Probleme der Justiz entwickeln. Zentral hierbei ist die Forderung der wirklichen Unabhängigkeit der Justiz im Rahmen der Gewaltenteilung.

transition-tv-news-nr-88-vom-5.-september-2022Transition TV News Nr. 88 vom 5. September 2022
unglaublich,-wen-und-was-man-heute-alles-zur-anzeige-bringen-kannUnglaublich, wen und was man heute alles zur Anzeige bringen kann