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Putins nukleare Vorsicht

Published On: 27. September 2022 9:27

Mit der Nato trifft Putin auf ein ganz anderes, ja einzigartiges Kaliber. Das liegt nicht daran, dass sie drei Atommächte umfasst, sondern daran, dass sie nicht-nuklear und dennoch massiv zurückschlagen kann.

IMAGO / ZUMA Wire

Russlands Machthaber Wladimir Putin bei seiner Fernsehansprache zur Teilmobilmachung, 21.09.2022

Grausam bin ich und gefährlich, will Putin der Welt beweisen. Wie aber soll das gehen? Was seine Einsatzgruppen mit Folter, Verstümmelung und dann erst Ermordung in der Ukraine praktizieren, geht ohnehin als Putin-Methode in die Genozid-Annalen ein. Doch womit will er militärisch Eindruck machen? Mit iranischen Dohnen oder nordkoreanischen Patronen? Mit den fahrbaren Särgen seiner Panzerdivisionen? Mit 300.000 Zwangsrekrutrierten, von denen sicher nur ist, dass sie die – nun zum Großgefängnis werdende – Heimat gegen ihn aufbringen?

Man stelle sich das Beben der Bundesrepublik vor, wenn sie – auf ihre Bevölkerung umgerechnet – plötzlich 170.000 Jünglinge in Todesgefahr schicken würde. Schon ein kleines Kontingent von 1.400 Bundeswehrsoldaten in Mali macht Berlin nervös. Oder man denke an die Proteste in den USA, wenn auf einen Schlag 730.000 Mann an die Front müssten. Solche Dimensionen kennen seit 1945 weder der Westen noch Russland. Im Zweiten Weltkrieg aber gibt es auf 1.000 Alte noch 2.000 bis 3.000 Jünglinge und entsprechend viele Freiwillige. Heute sind es 600 bis 1.000, denen es an lebenswerten Alternativen zu Sieg oder Heldentod nicht mangelt.

Mithin kann Putins Drohen mit Atomwaffen nicht überraschen. Allein sie verschaffen ihm wirklich Gehör. Und in der Tat lassen sich Gegner ohne eigene Massenvernichtungsmittel damit sehr wohl in Schach halten. Auch der Widerstand einer Macht mit nur wenigen Atomwaffen kann mit einem taktischen Nuklearschlag gebrochen werden. Sie könnte zwar nuklear zurückschlagen, würde aber in der nächsten Runde durch strategische Waffen vernichtet und dann doch lieber aufgeben.

Doch mit der Nato trifft Putin auf ein ganz anderes, ja einzigartiges Kaliber. Das liegt nicht daran, dass sie drei Atommächte umfasst, sondern daran, dass sie nicht-nuklear und dennoch massiv zurückschlagen kann. Sie würde gegen einen taktischen Nuklearangriff also bewusst ins Konventionelle deeskalieren und dennoch in wenigen Stunden Flotten, Flugplätze und Kommandozentralen mit chirurgischen Hightechwaffen ausschalten können. Russland behielte das Stigma des nuklearen Erstschlägers und verlöre zusätzlich seine konventionelle Kriegsfähigkeit. Eine relativ kleine und doch ungeheuerliche Aktion, die auf dem Gefechtsfeld Vorteile bringt, aber einen Krieg kaum entscheidet, hätte sich als Bumerang erwiesen.

Stalin, Chaos und Zerfall

Putin – falls von den eigenen Leute dann nicht längst beseitigt – könnte anschließend zwar mit gegenseitiger Auslöschung durch interkontinentale Nuklearraketen drohen. Er bekäme es aber mit nicht-suizidalen Kommandeuren sowie ihren Geliebten und Familien daheim zu tun. Die würden nach dem Verlust der konventionellen Macht Ruhe für einen Neubeginn vorziehen. Ohne sie aber kann die aufwendige Aktivierung der apokalyptischen Waffen nicht in Gang gesetzt werden. Entsprechende Bewegungen würden sofort bemerkt und nicht nur die Nato, sondern sämtliche Atommächte gegen Russland positionieren. Schließlich kann niemand aus einer teilweise unbewohnbaren Erde Vorteile ziehen. Bereits die Vorbereitung auch eines nur taktischen Atomschlags würde deshalb alle Atommächte gegen Putin einigen.

Der Kreml-Chef dürfte das ahnen, falls es ihm China und Indien als mitbetroffene Nuklearmächte am 16. September im usbekischen Samarkand nicht ausdrücklich klar gemacht haben. Deshalb übergeht er in der Mobilisierungsrede wohlweislich seine Vernichtungsdrohungen aus dem Februar 2022 und inszeniert stattdessen eine Reaktion auf westliche Warnungen danach. Gegen die habe er eigene „Zerstörungsmittel mit überlegenen Komponenten“, mit denen er nicht bluffe. Sein Bluff besteht jedoch im Schweigen darüber, dass die Nato ihm ausdrücklich eine rote Linie gegen Atomwaffeneinsatz gezogen hat, auf deren Überschreitung sie reagieren wird. Und eben dafür reicht ihre vielfache konventionelle Überlegenheit. Putin und sein Militär sind extrem vorsichtig, weil sie der weltweit einzigen Macht gegenüberstehen, die beim – zu Recht gefürchteten – nuklearen Hochschaukeln nicht mitmachen muss und trotzdem siegen kann.

Gunnar Heinsohn (*1943) hat von 1993 bis 2009 an der Universität Bremen Europas erstes Institut für vergleichende Völkermordforschung geleitet. 2011 hat er am NATO Defense College (NDC Rom) das Fach Kriegsdemographie eingeführt und bis 2020 gelehrt.


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