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Bei Anne Will: Tafel-Gründerin fürchtet, Gesellschaft könne zerreißen

Published On: 3. Oktober 2022 7:40

Sabine Werth ist ein Gast, der öfters in Talkshows zu sehen sein sollte. Die Tafel-Gründerin schildert bei Anne Will aus der Praxis und warnt sachlich und eindrucksvoll davor, dass die Gesellschaft auseinanderdriften könnte.

Screenprint: ARD/Anne Will

An Theken gibt es bevorzugte Themen. Am früheren Abend sind das Wetter und Fußball. Ist mehr Bier geflossen, dann erzählen sich die Zecher gerne gegenseitig, wie viele Sexualkontakte sie in ihrem Leben so hatten. Darüber redet in Talkshows niemand. Glücklicherweise. Noch niemand. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat mit seiner Waschlappen-Erzählung die Intimitätsgrenzen im öffentlichen Diskurs schon mal bedenklich verschoben.

Statt über ihre Sexualkontakte reden in Talkshows die Poltiker derzeit über ihre Gespräche mit Bäckern. Nimmt man sie beim Wort, dann ist „Sich mit dem Bäcker unterhalten“ momentan ein fester Punkt in ihrer Tagesordnung. Nun soll man niemandem Lügen unterstellen. Nicht mal den Zechern, die im realen Leben vermutlich deutlich weniger Sexualkontakte hatten, als sie an der Theke so schildern.

Also sollte man auch dem Fraktionsvorsitzenden der FDP im Bundestag, Christian Dürr, glauben, wenn er sagt: „Wie ich aus meinen Gesprächen mit Bäckern erfahren habe …“ Es klingt ja auch viel besser als: „Wie ich in der Zeitung gelesen habe …“ Oder: „Wie jeder weiß …“ Oder: „Das Ding da mit den Bäckern …“

Es ist auch gar nicht nötig, Christian Dürr Lügen zu unterstellen, um ihn als unglaubwürdig zu erkennen. Es reicht, den FDP-Mann reden zu lassen. Wenn er heute die Ampel lobt, weil sie den Gaspreis mit Steuergeldern – bis zu 200 Milliarden Euro – deckeln will. Und Anne Will einen Archivbeitrag einspielt. Da sagt Dürr noch: „Der Staat, die Gemeinschaft der Steuerzahler und Steuerzahlerinnen, der kann diese Energiepreise nicht einfach schultern, das würde die staatliche Gemeinschaft in Deutschland überfordern.“

Ein FDP-Funktionär, der einknickt. Eine seltsam vertraute Erzählung dieser Tage. Doch Dürrs Rechtfertigung ist pures Comedy-Gold. Als er im Bundestag gesagt habe, dass die Energiepreise nicht durch Steuern gedeckelt werden könnten, sei das etwas ganz anderes gewesen. Die CDU habe damals einen Vorschlag gemacht, der auf Schulden basiert habe. Die Ampel spanne jetzt einen „Schutzschirm“ auf.

Wo denn der Unterschied zwischen Schulden machen und Schulden basiertem Schutzschirm sei, will Anne Will wissen. Ob es nicht einfach daran liege, dass jetzt Wahlen in Dürrs Heimatland Niedersachsen anstünden? Nein, es sei ein Schutzschirm und vielleicht würden ja nicht die vollen 200 Milliarden Euro abgerufen. Wenn der Staat Schulden aufnimmt und diese Schulden „Schutzschirm“ nennt, dann sind das also keine Schulden? Für so dumm hält ein FDP-Funktionär die Zuschauer tatsächlich.

Die Diskussion bei Anne Will krankt aus zwei Gründen. Die Parteivertreter nutzen die Sendung zum Schaulaufen. Vor allem aber steht noch gar nicht fest, wie die 200 Milliarden Euro verteilt werden. Und ob sie überhaupt voll ausgezahlt werden. In diesem Punkt ist Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zwischen Donnerstag und Sonntag auch schon teilweise wieder zurückgerudert.

Kanzler Olaf Scholz (SPD) habe mit der „Gaspreisbremse“ nur eine Überschrift geliefert, ein Ziel formuliert, sagt Andreas Jung. Er ist energiepolitischer Sprecher der Union im Bundestag. Scholz sei mit seiner Initiative recht spät gekommen, jetzt da die Heizperiode bereits angefangen hat. Und der Kanzler sei auch noch Antworten auf die Frage schuldig, wie denn die „Gaspreisbremse“ konkret umgesetzt werde.

Das wird gar nicht so einfach, sagt Sabine Werth. Die Gründerin der Berliner Tafel, 1993 der ersten in Deutschland. Sie erklärt das am Beispiel Wohngeld. 1,4 Haushalte sollen mehr Wohngeld erhalten. Das sei schön. Aber ob sich jemand klar sei, was das bedeute, wenn 1,4 Millionen Anträge gestellt, bearbeitet, genehmigt und ausgezahlt würden? Selbst SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert räumt ein, dass von einem Instrument wie der „Gaspreisbremse“ auch Menschen profitieren würden, die das gar nicht nötig hätten: Wolle man das Geld nur Bedürftigen auszahlen, müsste man eine Behörde schaffen, die Millionen von Stromrechnungen prüfe. Das wäre „super gerecht, aber dann haben wir 2027 und alle Leute sind in der Privatinsolvenz“.

Politisch ist spannend, dass Dürr (FDP) und Kühnert (SPD) sich einig sind, dass jetzt wirklich alles ans Netz müsse, was Strom produziere. Auch über 2023 hinaus. Es wird also deutlich, dass es der grüne Koalitionspartner allein ist, der das ausbremst. Vor allem bei der Atomkraft. In der Frage, wie aus der Überschrift „200 Milliarden Euro für die Gaspreisbremse“ ein konkretes Verfahren wird, kommt die Runde aber keinen Schritt weiter.

Ansonsten ist es deutlich interessanter, Sabine Werth zuzuhören. Sie schildert aus dem Alltag der Tafeln: dass seit Corona eine andere Klientel komme. Dass unter den Bittstellern jetzt auch Unternehmer und Solo-Selbstständige seien, die in Konkurs gegangen sind. Damals hatte auch Scholz, seinerzeit als Finanzminister, Wumms-Überschriften geliefert. Versprechen abgegeben, der Staat werde jedem in Not Gekommenen helfen. Nur scheint das Geld längst nicht bei allen Bedürftigen angekommen zu sein, so wie Werth schildert.

Anne Will fragt, wie sich die Mischung aus steigenden Preisen und zweifelhaften Versprechen an der Basis auswirkt. Ob die Wucht dieser Ereignisse die Gesellschaft auseinanderreiße. Es ist ein für Talkshows selten spannender Moment. Werth lässt sich Zeit, antwortet betont behutsam: „Es scheint der Fall zu sein.“ Sie macht das an dem Beispiel Ukraine-Krieg fest. Die Solidarität gegenüber den Flüchtlingen nehme zum Beispiel bei den Empfängern der Tafel ab.

Das ist nicht schön. Aber es ist ehrlich. Es wäre wünschenswert, wenn in Talkshows mehr Frauen und Männer aus der Praxis säßen, so wie Sabine Werth. Politiker wie Christian Dürr, die Zuschauern unterjubeln wollen, dass Schulden ja keine Schulden seien, wenn man sie „Schutzschirm“ nennt … – solche Politiker braucht kein Mensch. Am Sonntagabend.

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