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Netanyahu ist zurück: Ein Rechtsruck muss nicht immer schlecht sein

Published On: 4. November 2022 9:41

Benjamin Netanyahu übernimmt wieder mit satter Mehrheit die Macht in Jerusalem. Der politische Gegner und große Teile der Medien auch in Israel beklagen einen Rechtsruck, sehen eine drohende Gefahr für die Demokratie im jungen Judenstaat. Aber Rechtsruck muss nicht unbedingt immer etwas Schlechtes bedeuten.

IMAGO / Xinhua

Benjamin Netanyahu im Hauptquartier der Likud-Partei nach der Wahl, 02.11.2022

Wir erinnern uns: Frieden mit Ägypten hat der rechtsnationale Menachem Begin 1977 geschlossen. Erzfeind Anwar al-Sadat, ein Autokrat, der 1973 den Yom-Kippur anzettelte, pilgerte nach Jerusalem und drückte die Hand des einstigen Ex-Terroristen im israelischen Parlament, der sich zu einem durchaus erfolgreichen Ministerpräsidenten entwickelte. Keiner seiner linken Vorgänger, angefangen von David Ben Gurion bis Golda Meir, hat Vergleichbares bei der Aussöhnung mit den arabischen Nachbarn geschafft. Ohne den Frieden mit Ägypten hätte es auch 17 Jahre später keine diplomatischen Beziehungen mit Jordanien gegeben. 

Es war der rechtsnationale Netanyahu, der mit Unterstützung des „First-America“-Präsidenten Donald Trump auf einen Schlag vier arabische Feindstaaten, einst Israelhasser, ins schmale Friedensnest geholt hat. Das ist erst gut zwei Jahre her und die Vereinbarungen blühen und gedeihen zum Wohle aller Beteiligten. Und dann ist da noch ein gewisser Recep Tayyip Erdoğan – sicherlich kein Linker –, der eine Dekade lang zum Lager der Israel-Vernichter gehört hat. Bis er einsehen musste, dass gegen Israel im östlichen Mittelmeerraum nichts geht, mit Israel aber fast alles. In diesem Jahr hat er den israelischen Staatspräsidenten Isaak Herzog mit allen Ehren empfangen, den türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu nach Jerusalem entsandt und ist kürzlich mit dem Noch-Verteidigungsminister Benny Gantz persönlich in Ankara vor die Kameras getreten. Die israelischen Politiker hätte er noch vor wenigen Jahren nicht mit der Beißzange angefasst.

Die Liste könnte auch auf Berlin erweitert werden. Dort gibt es inzwischen führende Politiker der Grünen-Partei, die sich zu respektablen Lobbyisten der europäischen Waffenindustrie gemausert haben. Was haben die Damen und Herren alle gemein? Die Realität hat sie auf den Boden der Tatsachen gebracht.

Zurück zu Israel, wo zwei Rechtsnationale den Ausschlag für die Rückkehr Netanyahus ins Ministerpräsidenten-Amt gegeben haben. Selbst in Israel wurden die beiden Herren, Itamar Ben Gvir und Bezalel Smotrich, jahrelang nicht ernst genommen. Ihr Wahlslogan „Wir zeigen ihnen, wer der Herr im Haus ist“, hat jetzt Früchte in Form von 14 Mandaten – bisher sechs – im israelischen Parlament getragen. Die beiden kennen Judäa und Samaria – besser bekannt als Westbank – sehr gut, weil sie dort ihr Leben verbringen. Mit ihrem Einzug demnächst in die Regierung, mit wichtigen Ministerämtern betraut, werden sie sich sehr schnell mit der Welt außerhalb von Nablus, Ramallah und Jenin anfreunden müssen. Sie werden den Weg aller erfolgreichen Wahlkämpfer gehen müssen: Guter Wahlkampf befähigt noch lange nicht zum guten Regieren. Die beste Schule in der Politik ist die Realität. Schon manch fähiger Boxer im Wahlkampf musste schneller, als er/sie es glauben konnte, die wuchtigen Handschuhe gegen feines Glacé eintauschen.

3000 Juden aus Äthiopien kommen nach Israel

Ben Gvir und Smotrich, beide gelernte Rechtsanwälte, 46 und 42 Jahre jung, haben sich bisher nicht als Intelligenz-Bestien einen Namen gemacht. Das ist in der Politik auch nicht immer eine Voraussetzung für Erfolg. Flexibilität und Lernfähigkeit sind weit wichtigere Eigenschaften. Vor allem, wenn man einer israelischen Regierung unter Netanyahu angehören und dort auch langfristig überleben will. Israel spielt inzwischen im großen politischen Konzert nicht nur im Nahen Osten mit. Die USA sind ein überlebenswichtiger Partner und die jüdischen Gemeinden zwischen New York und Los Angeles reden ein gewichtiges Wort mit. Dort muss man im feinen Zwirn auftreten können und die Sprache der Diplomatie beherrschen.

Israel ist mittendrin, gemeinsam mit Zypern, Griechenland und der Türkei, mitfinanziert durch Abu Dhabi und Dubai, zu einem „Big Player“ im internationalen Gas-Geschäft zu werden. Fahnenschwenken und lautstark Sprücheklopfen ist da wenig hilfreich. Im weltweiten Energie-Becken schwimmen kluge Wirtschaftshaie, die zubeißen, wenn Politiker mit Wolkenkuckucksheim-Ideen ankommen. 

Das bedeutet: Es gibt keinen Weg der Gewalt, nur Aussöhnung mit den arabischen Nachbarn am Verhandlungstisch, heißt die aktuelle Devise. Dafür muss man auch Waffen besitzen, stark sein, aber vor allem mental stark sein und überzeugend in mehreren Sprachen auftreten können. Und sie werden lernen müssen, dass alles was Recht ist, auch Recht sein muss. Netanyahus erneute Amtsübernahme wird vorerst eine Einschulung für die beiden rechtsnationalen Haudegen Ben Gvir und Smotrich sein. Ohne Zweifel: Zum Lernen bedarf es stets zwei Seiten – einen intelligenten Lehrer und lernwillige Schüler.

Der intelligente Lehrer ist bereits auf der Bühne und hat seine Fähigkeiten in den letzten 15 Jahren bewiesen. Die entscheidende Frage ist, ob die Schüler ihren Westjordanland-Staub abschütteln können und offen sind für die große Politik einer erfolgreichen Start-up-Nation. Die Vergangenheit zeigt, dass die Rechten auf der politischen Bühne nicht dümmer sind als die Linken. Bibi, pack’s an, es gibt viel zu tun.

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