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Der ältere weiße Mann und die Fischrettung

Published On: 17. November 2022 18:49

Harald Martenstein wundert sich, versucht, die Welt zu verstehen und gibt praktische Ratschläge. Das ist unterhaltsam, oft komisch, manchmal ernst.

Seine Leser kennen Harald Martenstein als Autor und Kolumnist. Hauptsächlich gibt er praktische Hinweise zur Lebensbewältigung, egal in welcher Rolle. Es handelt sich meist um Erfahrungen, die er seinerseits bei der Bewältigung des Lebens sammelt.

„Im April habe ich eine Jalousie bestellt, wegen des Aquariums“, schreibt er in einem seiner Kolumnentexte: „Das Aquarium steht am Fenster, das Wasser heizt sich auf, die Fische werden gekocht. Ein Mann hat das Fenster ausgemessen. Wochen später kam ein zweiter Mann mit der fertigen Jalousie und stellte fest, dass sein Kollege, Mann Nummer eins, sich um zehn Zentimeter vermessen hat. Der zweite Mann sagte, dass es immer schwieriger wird, Menschen zu finden, die mehrstellige Zahlen richtig ablesen können, das sei ein ungelöstes Problem in Deutschland. Ich schütte jetzt täglich Eiswürfel ins Aquarium.“

Das rettet nicht die Welt, aber immerhin die Fische.

Martensteins Texte funktionieren ähnlich wie die Eiswürfel für das überhitzungsbedrohte Aquarium. Sie wirken erstens regulierend und lindernd. Und zweitens teilt er sie in kleinen gleichbleibenden Portionen aus, nämlich in Gestalt seiner Kolumnen. „Alles im Griff auf dem sinkenden Schiff“ versammelt Martensteins Kurztexte aus etlichen Jahren. Der Untertitel lautet „Optimistische Kolumnen“. Er führt in die Irre, denn die Tonlage des Autors klingt zwar fast immer zuversichtlich. Dem steht allerdings öfters die Natur seiner Themen entgegen, vor allem dann, wenn er über Gesellschaftspolitik schreibt. Aus dieser Dissonanz ergibt sich die Komik meist fast von selbst.

Martenstein, geboren 1953 in Mainz, schrieb mehr als 30 Jahre für den „Tagesspiegel“, bis die Chefredaktion des Blattes Anfang 2022 einen Text von ihm löschte, weil er Demonstranten, die gegen Corona-Maßnahmen auf die Straße gegangen waren, gegen den Pauschalvorwurf des Antisemitismus verteidigte. Deshalb, aber auch, weil die „Tagesspiegel“-Leitung die Affäre nach außen hin kontrafaktisch darstellte, verließ er die Zeitung und wechselte zur „Welt“. Seine optimistischen Kolumnen erschienen noch vor diesem Eklat. Aber er deutet sich darin schon an.

Von sich sagte der Autor einmal, er habe fast 30 Jahre eigentlich immer nur nett geschrieben. Aber schon 2013 erschienen die ersten Texte vom ihm, in denen er sich fragte, wie ein Glaubenssystem namens Gender Studies mit Universitäten und Wissenschaftsbetrieb zusammenpasst. Nett und problemlösungsorientiert, wie es in ihm offenbar von Natur aus angelegt ist, rief er einer Kaiserin also zu, sie habe ja gar nichts an, und meinte, ihr damit einen nützlichen Hinweis gegeben zu haben.

In seinem Text „Pronomenrunden“ beschreibt er die Praxis an Universitäten (hier am Beispiel der Uni Freiburg) in bestimmten Gremien erst einmal reihum mitzuteilen, mit welchem Pronomen die Teilnehmer angesprochen zu werden wünschen, beispielsweise er, sie, es, x, per oder hän. „Hän ist Finnisch und neutral. Hän ist praktisch die Schweiz unter den Pronomen.“ Aber auch die allerreichste Pronomenlandschaft kann unmöglich jedem und jeder gerecht werden, was wiederum Leid verursacht; Martenstein teilt auch hier eine Portion Eiswürfel aus: „Die einzige Lösung wäre Schweigen. Dann ist im Seminar garantiert niemand verletzt, und niemand muss weinen.“

Nur bei wenigen Themen fällt ihm keine praktische Empfehlung mehr ein. Etwa, wenn er davon schreibt, dass sein Verlag Thilo Sarrazins Buch „Feindliche Übernahme“ nicht veröffentlichen wollte (nachdem er vorher mit anderen Sarrazin-Büchern gut verdient hatte). Der Verleger begründete das in einer Stellungnahme, in der er auch die „Gefahr eines neuen Faschismus“ erwähnt.

Wie beim Würzen: nach Gefühl

Für die Publikationsfreiheit blieb die Verbannung des Buchs ohne Folgen. Sarrazin veröffentlichte „Feindliche Übernahme“ eben in einem anderen Verlag. Aber, so Martenstein, es verändere die Struktur der Öffentlichkeit: „Es entstehen zwei verschiedene Öffentlichkeiten. Die Gesellschaft ändert sich. Auf der einen Seite die etablierten Verlage, auf der anderen Seite die Webzeitungen und Verlage, wo die anderen zu finden sind, die Kritiker der Hypermoral, des Islam, der Einwanderungspolitik. Immer mehr Leute, die ich kenne, informieren sich nur noch auf der einen oder anderen Seite dieser unsichtbaren Barrikade.“

Apropos Barrikade: einer seiner Kritiker schrieb einmal, Martenstein stehe „stellvertretend für die sich für schweigend haltende Mehrheit weißer, heterosexueller, alter Männer, die die Welt nicht mehr verstehen“, und er schreibe gegen seinen Machtverlust an.

Mit seinem Gestus, sich in seinen Texten zu wundern, versteht er sie allerdings erstaunlich gut. Und zu heterosexueller weißer Mann würde er wahrscheinlich bemerken, das sei nun mal seine Identität, so werde er auf der Straße gelesen. Der britische Komiker John Cleese twitterte vor einiger Zeit: „In meinem tiefsten Inneren wäre ich gern eine kambodschanische Polizistin.“ Dann würde er vermutlich auch andere Scherze machen. Martenstein geht es bestimmt ähnlich.

Neben seiner Eigenschaft als weißer Heteromann ist Martenstein auch noch später Vater, Berliner und, wie schon erwähnt, Alltagsbewältiger. In seinem Buch finden sich also auch Texte, die Erziehungsprobleme behandeln oder die Frage, was in Berlin bei einem Wasserrohrbruch passiert.

Auch Jüngere, Nichtmänner, Nichtheterosexuelle und Nichtweiße können daran Spaß haben. Möglicherweise dienen auch Pronomenrunden zur Kompensation von Ohnmachtsgefühlen. Die Art und Weise, wie hier ein älterer Mann gegen seinen Macht- und gelegentlichen Verständnisverlust anschreibt, wirkt allerdings deutlich unterhaltsamer.

Harald Martenstein, Alles im Griff auf dem sinkenden Schiff. Optimistische Kolumnen. C. Bertelsmann, Hardcover mit Schutzumschlag, 224 Seiten, 18,- €.


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