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Ein literarischer Impuls: Wer bestimmt, welche Wörter wir benutzen dürfen?

Published On: 27. November 2022 0:07

Veröffentlicht am 27. November 2022 von RL.

Sich politisch korrekt zu benehmen, ist für den einzelnen inzwischen eine Mammutaufgabe geworden. Dazu gehört zum Beispiel, sich so oft wie möglich gegen Corona impfen zu lassen, seinen CO2-Fussabdruck auf dieser Welt so klein wie nur irgend möglich zu halten und selbstverständlich Veganer zu sein.

Damit aber nicht genug: Es fängt bereits mit der Sprache an. Gesellschaftliche Anerkennung erlangt nur der, der auch die richtigen Wörter benutzt. Unser Sprechen und Schreiben ist zu einem Minenfeld ohnegleichen geworden. Eine kleine Bestandsaufnahme.

Kaputte Wörter?

Der Journalist Matthias Heine hat in diesem Jahr das Buch «Kaputte Wörter? Vom Umgang mit heikler Sprache» (1) herausgebracht. Erschienen ist es sinnigerweise im Duden-Verlag. Der Autor stellt auf rund 300 Seiten Wörter vor, «die als problematisch, diskriminierend oder gestrig gelten», wie auf der Rückseite des Buches zu lesen ist.

Insgesamt 78 verschiedene und alphabetisch sortierte Begriffe listet sein Inhaltsverzeichnis auf, die alle in kurzen Kapiteln untersucht werden. Eine Vollständigkeit ist nicht angestrebt. Dies wäre auch ein Ding der Unmöglichkeit, da ständig neue Begriffe gebrandmarkt werden. Alle Kapitel sind unterteilt in vier Abschnitte mit den Überschriften «Ursprung, Gebrauch, Kritik und Einschätzung».

Keine Sprachpolizei

Besonders interessant ist am Ende jedes Kapitels die Einschätzung des Autors, der betont, dass diese nicht mit einer Empfehlung der Duden-Redaktion verwechselt werden dürfe. Heine hält in seiner Einleitung zum Buch fest, dass er nicht als Sprachpolizist auftreten, sondern zum Weiterdenken anregen will. Der aus meiner Sicht wichtigste Satz des Buches stammt ebenfalls aus der Einführung (S. 11):

«Ich gehe von der Grundüberzeugung aus, dass keine Regierung, keine Behörden und erst recht keine Minderheiten den 200 Millionen Deutschsprechern vorzuschreiben haben, welche Wörter sie gebrauchen dürfen.» Dem ist nichts hinzuzufügen.

Von wenig bis völlig überraschend

Unter den untersuchten Wörtern finden sich viele, die bei einer solchen Thematik auch erwartet werden, so zum Beispiel «Neger» und «Negerkuss», «Mohr» und «Mohrenkopf», «Zigeuner» und «Zigeunerschnitzel», «Damen und Herren», «Indianer» und «Eskimo», «Abtreibung», «Asylant», «Heimat», «Kolonie», «Zwerg», «farbig» oder «mongoloid».

Etwas überraschend sind «Flüchtling», «Brüder», «bester Freund», «Frau», «Jude», «Beziehungstat» oder «invasive Art». Eher verblüffend sind Begriffe wie «Vater/Mutter», «vor/nach Christus» und «Weihnachten», «Milch», «Pizza Hawaii» oder schliesslich «Punkt». Einige der Beispiele sollen näher betrachtet werden.

Das «N-Wort»

Sehr ausführlich mit elf Seiten geht Heine auf das vielleicht aktuell umstrittenste Wort überhaupt ein. Das Wort «Neger» wurde zunächst allgemein für Menschen mit dunkler Hautfarbe gebraucht, bis es gegen Ende des 18. Jahrhunderts auf Menschen des afrikanischen Kontinents beschränkt wurde. (S. 178)

Heine zeigt dann an mehreren historischen Beispielen auf, wie der Begriff negativ belegt wurde, zum Beispiel im Hinblick auf angeblich schwache oder sogar verneinte mentale Fähigkeiten. Dies ist aber nicht durchgängig der Fall gewesen. Es gibt ebenso Beispiele, in denen das Wort nicht abwertend benutzt wurde. Im Unterschied zum Deutschen gab es in Amerika mit «negro» und «nigger» zwei Worte, wobei das erste lange neutral verstanden wurde und das zweite das negative, vom Rassenhass geprägte Wort war.

Seit den 1970er Jahren, so stellt Heine fest, wurde «Neger» in Deutschland nicht mehr unbefangen gebraucht. Ein Jahrzehnt später hätten das Wort nur noch ältere Menschen benutzt. (S. 183) Eine verstärkte Tabuisierung trat nach der Jahrtausendwende ein.

Das Wort wurde immer stärker verbunden mit Begriffen wie «Sklaverei, Kolonialismus und Dehumanisierung». (S. 184) Verlage begannen, das Wort aus Büchern zu streichen, wie aus den «Pippi-Langstrumpf-Büchern» von Astrid Lindgren. Inzwischen ist eine neue Stufe der Verachtung des Wortes erreicht, in der allein eine Zitation tabu ist, selbst bei historischen Texten. Als Platzhalter taucht die Chiffre «N-Wort» oder «N*-Wort» auf. (S. 184)

Heine macht in seiner «Einschätzung» deutlich, dass durch die Chiffre die Reproduktion des Wortes keineswegs verhindert wird. Denn die Ersatzform «N-Wort» verstehe nur derjenige, der wisse, dass damit das Wort «Neger» gemeint ist. Analog zu der Ersatzform «Sch…».

Zudem bezweifelt Heine, dass ein Wort ausgelöscht werden könne, indem es nicht mehr geschrieben oder öffentlich gesagt werde. Er kommt zu dem Schluss, dass die meisten Menschen den Begriff sowieso nicht mehr auf lebende Menschen anwenden würden.

Gleichzeitig mahnt er zu mehr Gelassenheit im Bereich der Literatur, sonst träfen Änderungen letztlich sogar Schriften von Martin Luther King. Und dies wäre nach Heine «ein grössenwahnsinniger Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit». (S. 187)

Dazu eine Anmerkung. Zweifellos muss man das Wort «Neger» nicht benutzen. Aber bei diesem wie auch bei allen anderen Bezeichnungen von Menschen sollte immer beachtet werden, dass die sprachliche Bezeichnung und der Umgang mit diesen Menschen zwei völlig verschiedene Seiten einer Medaille sein können. Ich kann Menschen so korrekt wie nur möglich bezeichnen und sie trotzdem hassen.

Genauso wenig verträgt es sich, sich einerseits für die «korrekte» Bezeichnung von Minderheiten und ihren Schutz einzusetzen, andererseits aber die Menschen zu bekämpfen, die dieser Bezeichnung in ihrem Sprachgebrauch nicht folgen wollen.

Bemerkenswert ist in dieser Hinsicht ein Interview, das Roberto Blanko anlässlich seines 85. Geburtstages gab. Er wurde darin gefragt, ob es ihn empöre, dass ihn jemand einen «wunderbaren Neger» genannt habe. Darauf antwortete Blanco, dass der Ton die Musik mache und er deshalb nicht beleidigt sei. (2)

«Indianer»

Vor kurzem zog der Ravensburger Verlag das Kinderbuch «Der junge Häuptling Winnetou» zurück, nachdem es Rassismus-Vorwürfe gegeben hatte. Insofern ist auch der Begriff «Indianer» sehr aktuell. Heine schreibt, dass eine Unterscheidung zwischen «Indianern» als den Ureinwohnern Nordamerikas und «Inder» als den Bewohnern des indischen Subkontinents erst im 19. Jahrhundert stattfand. (S. 109)

Bis dahin bezeichnete «Indianer» beides. Durch die Bücher von Karl May habe es einige Besonderheiten im Deutschen gegeben, wie das Sprichwort «Ein Indianer kennt keinen Schmerz». Die Kritik entzündete sich zunächst an dem englischen Begriff «American Indian», der immer mehr ersetzt werde durch «Native Americans». Allerdings sei auch der erste Begriff noch weit verbreitet, weil er in der Regel von den amerikanischen Ureinwohnern nicht als beleidigend angesehen werde.

In Deutschland sei der Begriff «Indianer» einer deutlich grösseren Kritik ausgesetzt als in den USA. Er werde als abwertend oder sogar diskriminierend verstanden. Heine beschreibt in diesem Zusammenhang einen Vorfall aus dem Jahr 2021. Die Grünen-Politikerin Bettina Jarasch hatte gesagt, dass sie als Kind «Indianerhäuptling» werden wollte. Später entschuldigte sie sich für diese «unreflektierte Kindheitserinnerung». (S. 112)

Kritik an der Äusserung habe es von Seiten der in Deutschland lebenden Native Americans nicht gegeben. Heine kommt zu dem Fazit, dass das Wort «Indianer» seit 200 Jahren für die Ureinwohner Nordamerikas verwendet wird und semantisch eindeutig von «Inder» abgegrenzt sei. Ein Indianer könne jedoch noch durch die genaue Stammeszugehörigkeit spezifiziert werden, so wie die Bezeichnung «Deutscher» genauer sei als der Begriff «Europäer».

Die ganze Kritik ist wie auch bei einigen anderen Begriffen ein typisch deutsches Phänomen. Es gibt eine Reihe von Menschen in unserem Land, welche die Speerspitze der politischen Korrektheit sein wollen und daraus ihre Identität ableiten. Dazu noch einmal Roberto Blanco: «Solche Diskussionen würde es nicht geben, wenn wir hier Krieg wie in der Ukraine hätten. Da haben die Leute andere Sorgen.» (2)

«Pizza Hawaii»

Wenn um Begriffe gestritten wird, geht es oftmals auch um Bezeichnungen von Speisen. Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auf das inzwischen schon berühmte «Zigeunerschnitzel» oder die «Serbische Bohnensuppe». Heine erweitert diese «Speisekarte» mit der «Pizza Hawaii».

Sie verdankt ihren Namen dem Belag mit Ananas, wobei diese Frucht früher führend von den Hawaii-Inseln stammte. (S. 195) Diese Pizzasorte gehörte lange Zeit zu den beliebtesten Pizzen in Deutschland. Kritisiert wurde der Begriff von einer linken Aktivistengruppe, weil er angeblich mit dem Kolonialismus verbunden sei. Weisse Siedler hätten die indigene Bevölkerung mit dem Anbau von Ananas ausgebeutet. Als Alternative wird «eine Pizza mit Ananas» vorgeschlagen.

Heine macht in seiner Einschätzung deutlich, dass die «Pizza Hawaii» so divers wie nur irgend möglich ist. Erfunden wurde sie von dem in Griechenland geborenen Sam Panopoulos in Kanada, der sich bei dem italienischen Gericht von der chinesischen Küche habe inspirieren lassen und der dabei eine ursprünglich südamerikanische Frucht aus dem Anbaugebiet im Pazifik verwendete. Zudem exportierten heute die Philippinen die meisten Ananasfrüchte. Heine hält die Umbenennung für eine reine Symbolhandlung, die an Ausbeutungsverhältnissen nichts ändere. (S. 197)

Wer lange genug sucht, findet ohne Zweifel bei jedem Gericht irgendeinen Bezug zu irgendeinem geschichtlichen oder aktuellen Unrecht. Dazu kommt, dass auch die Alternativbegriffe über kurz oder lang anfechtbar werden, wenn sich die (welt)politische Lage wieder einmal verändert hat. Auch müssen Alternativbegriffe keineswegs allen Kritikern gefallen. Es wird immer jemanden geben, der auch mit einem veränderten Begriff nicht zurechtkommt. Zudem kommt hier wie auch bei anderen Beispielen in dem Buch der Verdacht auf, dass nicht die Sorge um die Ureinwohner im Vordergrund steht, sondern es eine politisch motivierte Kritik ist.

«Invasive Arten»

Als «invasive Arten» werden nichtheimische Pflanzen oder Tiere bezeichnet, die durch ihre Ausbreitung die einheimischen Arten bedrohen. Dazu gehört der bei uns inzwischen heimische Waschbär, der aus Nordamerika kommt. Kritisiert wird an dem Begriff «invasive Art» seine sprachliche Nähe zu dem militärischen Begriff «Invasion». Es gehe hier aber nicht, so die Kritik, um ein kriegerisches Vorgehen. Ferner wird befürchtet, dass der Begriff auf Migrationsgruppen übertragen werden könnte, welche die einheimische Bevölkerung verdrängen würden. (S. 120)

Zweifellos können fremde Arten in die heimische Flora und Fauna eindringen und zu einer Verdrängung und somit zu einer Bedrohung werden. Wie dieses biologische Phänomen bezeichnet wird, ist dabei zweitrangig. Jeder Begriff dafür kann anthropologisch missbraucht werden. Der Fehler, der auch hier gemacht wird, ist, dass die Lösung einzig an den Austausch eines Begriffes geknüpft wird. Dadurch wird ein möglicher Missbrauch aber noch nicht behoben.

«Punkt»

Junge Menschen empfänden einen Satz, der mit einem Punkt endet, als unfreundlich. Zu diesem Ergebnis kam im Jahre 2015 eine Studie der Universität Birmingham. (S. 202) Ausgehend von einer lockeren Verwendung der Rechtschreibung bei jungen Leuten, die vielfach in Textnachrichten auf das Satzschlusszeichen verzichteten, sei der Punkt ein gefährliches Satzzeichen geworden beziehungsweise ein «passiv-aggressives Symbol». (S. 202) Er zeige eine wütende Tonlage an. (S. 203)

Für Deutschland gebe es noch keine vergleichbare Studie; Heine nimmt jedoch an, dass sie vergleichbare Ergebnisse liefern würde. Dennoch hält Heine die betroffenen Jugendlichen für fähig, Texte von ihrer Art her unterscheiden zu können, also ob es sich um einen Chat oder zum Beispiel um ein Bewerbungsschreiben handele.

Wenn jede Generation mit irgendwelchen Interpunktionszeichen nicht zurechtkommt und darauf eingegangen wird, wird jede verständliche Kommunikation und das Verstehen von Texten irgendwann unmöglich werden. Gefährlich ist diese Entwicklung vor allem angesichts der Tatsache, dass die Fähigkeit zum korrekten Umgang mit der deutschen Sprache gerade bei jungen Menschen immer mehr ab- und der Analphabetismus in unserer Bevölkerung weiter zunimmt.

Es ist Menschen, auch jungen Menschen, zuzumuten, dass sie einer sprachlichen Übereinkunft zustimmen und sie in öffentlichen Texten anwenden beziehungsweise verstehen können, auch wenn sie bei einigen Zeichen ihre Probleme haben.

Fazit

Das Buch gibt einen guten Überblick über die (aktuell) wichtigsten Begriffe in fast schon bizarr anmutenden Streitereien über die deutsche Sprache. Dabei kann es vorkommen, dass die Streithähne/-hühner gar nicht so genau wissen, was die Begriffe eigentlich bedeuten. Insofern können vor allem Heines geschichtliche Hintergründe sehr erhellend sein und zur Versachlichung beitragen.

Man muss Heine in seinen einzelnen Schlussfolgerungen nicht beipflichten, denn – wie er selbst sagt –: Niemand sollte einem anderen vorschreiben, welche Wörter er benutzt. Andererseits sollte jeder so viel Fingerspitzengefühl entwickeln, dass er sein Gegenüber mit der benutzten Sprache nicht unnötig provoziert oder demütigt. Die Schwierigkeit liegt wie so oft im Abwägen beider Seiten.

Wer viel mit dieser Thematik zu tun hat oder sich dafür interessiert, findet in Heines Buch einen sehr guten Einstieg; sowohl zum Nach- und Weiterdenken als auch zu einem niveauvolleren Diskutieren.

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Anmerkungen:

(1) Matthias Heine, «Kaputte Wörter? Vom Umgang mit heikler Sprache», Berlin: Duden, 2022, ISBN 978-3-411-75690-2, 22 Euro (D). Die Seitenangaben in Klammern beziehen sich auf dieses Buch.

(2) Joachim Schmitz, «‹Leben und leben lassen›: Warum sich Roberto Blanco der Rassismusdebatte verweigert und wie er seinen 85. Geburtstag feiert», Neue Osnabrücker Zeitung, 55. Jg., Nr. 129 (04.06.2022), Wochenende, S. 8.

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Holger Heydorn studierte evangelische Theologie in Giessen und Bethel/Bielefeld. Danach promovierte er im Fachbereich Altes Testament an der Protestantischen Theologischen Universität in Kampen/Niederlande. Thema seiner Dissertation war der Aufbau des Menschen aus Geist, Seele und Leib sowie die Interaktionen dieser Wesensaspekte.

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