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Auf dem Balkan schwelt der nächste Konflikt

Published On: 29. Dezember 2022 14:57

Geschichte wiederholt sich zwar nicht, aber geschichtliche Abläufe können durchaus Parallelen aufweisen. Die Situation im Süden Serbiens bleibt ein entzündbares Fass, dessen Lunte jederzeit Feuer fangen kann.

IMAGO / VXimages.com

Eine KFOR-Patrouille trifft am Donnerstag, den 29. Dezember 2022 in Mitrovica, Kosovo, ein

Das, was als Erster Weltkrieg in den Geschichtsbüchern steht und das Ende der globalen Dominanz der Europäer einläutete, begann, weil der serbische Nationalist Gavrilo Princip mit dem serbischen Geheimdienst im Rücken den österreichischen Thronfolger ermordete. Das Attentat setzte eine Kausalkette in Gang, in der erst die K.u.K.-Monarchie nach Vergeltung rief, dann das zaristische Russland seine panslawistischen Bruderschwüre ins Feld führte, der deutsche Kaiser in Nibelungentreue zu den Habsburgern hielt, die Franzosen die Chance witterten, die Schmach von 1870/71 zu revidieren und das Vereinigte Königreich den unerwartet mächtig gewordenen Konkurrenten im Welthandel loswerden wollte.

Das Ergebnis ist bekannt – und die fehlerhafte Lösung der Probleme über ein Zwangsdiktat führte dann kontinuierlich in die Situation von 1939, wo ein einmal mehr vasallentreues Deutsches Volk in einem eingebürgerten Österreicher seinen Heilsbringer zu erkennen meinte und sechs Jahre später alles verloren hatte.

Nationale Vertretungsansprüche als Anlass

2022 waren es die Russen, die mit einem mittelalterlichen Allrusslandanspruch Europa in die Katastrophe drängen – bislang noch mit gewaltsamen Kriegshandlungen eingedämmt auf das Territorium der Ukraine, weil Westeuropäer und Nato sich darum bemühen, den Konflikt nicht zur nächsten Weltkatastrophe werden zu lassen, dabei ihn aber zwangsläufig in unüberschaubare Länge ziehen.

Nun allerdings liegt die Lunte wieder einmal auch in Serbien. Dieses Balkanland – nationalfaschistisch seit dem Einstieg in die Eigenstaatlichkeit 1878 – hat seine Rolle in Europa seit seiner Befreiung von der Osmanischen Herrschaft bis heute nicht gefunden. Einerseits nach Westeuropa orientiert und dieses durch den Versuch, Teil der EU zu werden, unterstreichend – andererseits in den Fängen eines nationalserbischen Panslawismus verfangen, sieht sich die Regierung in Belgrad – ähnlich der Russischen in Moskau – als Verteidiger eines serbischen Nationalismus auch über seine tatsächlichen Landesgrenzen hinaus. Dabei greift die serbische Neurose bis weit zurück in das Mittelalter, als die katholische Christenheit ihre orthodoxen Glaubensgenossen scheinbar dem islamischen Joch auslieferte, als der serbische Widerstand gegen die Osmanen im Jahr 1459 abschließend gebrochen wurde.

Ein Konflikt seit 500 Jahren

Die nationale Identität ebenso wie die Feindbilder, an denen sich Serbien bis heute orientiert, haben eine fünfhundertjährige Geschichte. Die katholischen Kroaten, ebenfalls dem serbo-kroatischen Kulturkreis zuzuordnen, bildeten die Wehrbauernschaft der Habsburger gegen die Osmanen – und damit gleichzeitig gegen die osmanisch beherrschten Serben und islamischen Bosniaken. Die serbische Orthodoxie orientierte sich zur russischen Orthodoxie als gefühlter Nachfolger des griechisch-byzantinischen Ostroms und manifestierte auf dem Balkan das Schisma der christlichen Kirche. Gleichzeitig galten die bosnischen Muslime aus nationalserbischer Sicht als Verräter an der eigenen Nation: Quislinge, die sich dem osmanischen Joch unterworfen hatten.

Die im Gefühl des Verrats und des verzweifelten Widerstands gegen die osmanische Islamisierung entstandenen Gräben führten mit der Schwäche der Osmanen im 19. Jahrhundert zur serbischen Orientierung am Zaren in Sankt Petersburg, dessen Streben nach Westen und zur Adria im Panslawismus das Instrument sah, den Balkan zum russischen Einflussgebiet zu machen. Da gleichzeitig der habsburgische Universalstaat den Balkan auch über Kroatien hinaus als seinen natürlichen Vorhof betrachtete, führte der Konflikt, der eigentlich einer zwischen Wien und Sankt Petersburg war, 1914 zu jenem Anschlag auf Franz Ferdinand im bosnischen Sarajewo, welcher zum Auslöser des Völkerkriegs werden sollte.

Der Kunststaat Jugoslawien

Der nach dem Ende des Ersten Weltkriegs geschaffene Kunststaat Südslawien war ein großserbisches Reich, dem von den Siegermächten das ehedem habsburgische Kroatien und Slowenien ebenso wie Bosnien, Herzegowina, Montenegro und Mazedonien nebst dem Kosovo angegliedert wurde. Die Fragilität dieses Kunststaats sollte sich zeigen, als nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht im Zuge des Zweiten Weltkriegs vor allem kroatische Freiwillige des Ustascha-Vasallenstaates an der Seite der Deutschen und der Italiener kämpften.

Mit der Niederlage der Achsenmächte schuf der kommunistische Kroate Josip Broz, Kampfname Tito, in dem um das italienische Istrien erweiterten Jugoslawien eine sozialistische Diktatur, in der die nationalen ebenso wie religiösen Widersprüche per Staatsform überwunden werden sollten. Gleichwohl bestärkte die Abrechnung der Kommunisten mit den als Kollaborateure gebrandmarkten Freiwilligenverbänden der Ustascha die Gräben zwischen Serben und Kroaten. Die serbische Dominanz im Nachfolgestaat des „Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen“ hielt in Titos Jugoslawien, welches sich im Kalten Krieg der damaligen Supermächte um Blockfreiheit bemühte, die ethnischen Konflikte unterschwellig am Leben. Auch gelang es den jugoslawischen Sozialisten ebenso wenig wie ihren ideologischen Brüdern im Ostblock, die religiöse Prägung aus den Köpfen der Menschen zu bekommen.

Der serbische Nationalismus löst den Jugoslawien-Krieg aus

Nach dem Tod Titos im Jahr 1980 entwickelte der bis dahin von ihm geführte „Bund der Kommunisten Jugoslawiens“ unter dem Serben Slobodan Milošević zunehmend einen großserbischen Führungsanspruch, während die Politik des Michail Gorbatschow vor allem in Slowenien und Kroatien Hoffnungen auf marktwirtschaftliche Orientierung und nationale Souveränität beförderte. Der großserbische Führungsanspruch und dessen Unvereinbarkeit mit der Nationalidentität der in Jugoslawien eingegliederten Republiken führte ab 1991 zum Zerfall des Kunststaats. Nach und nach lösten sich die jugoslawischen Teilrepubliken Slowenien, Kroatien, Mazedonien, Bosnien-Herzegowina und Montenegro vom serbisch beanspruchten Jugoslawien. Dabei brachen die alten Animositäten und Feindschaften nationaler und religiöser Natur in unerwarteter Härte wieder auf und führten nicht nur zu ethnisch begründeten Vertreibungsaktionen, sondern auch zum serbischen Genozid an bosnischen Muslimen.

Dieser offiziell als „Jugoslawischer Krieg“ bezeichnete Konflikt, der faktisch zumeist ein Krieg serbischer Nationalisten gegen die früheren Brudervölker gewesen ist, wurde auf Druck der USA und der UN 1995 mit dem Vertrag von Dayton offiziell als beendet erklärt. Jedoch löste der Vertrag weder die nach wie vor bestehenden Differenzen zwischen den ethnisch-religiösen Gruppen in Bosnien, noch war er in der Lage, für ein innerserbisches Problem eine friedliche Zukunft aufzuzeigen.

Der Kosovo als serbische Provinz

Anders als die bis 1995 entstandenen Nachfolgestaaten, die innerhalb Jugoslawiens den Status eigenständiger Republiken innehatten, schwelte im Süden der Republik Serbien ein besonderer Konfliktherd in einer Region, die als Kosovo bezeichnet wird. Der Kosovo mit der Gebietshauptstadt Pristina galt als autonome Region innerhalb der Republik Serbien – damit aber unmittelbar der serbischen Zentralregierung in Belgrad unterstellt. Das bei Pristina gelegene Amselfeld (Kosovo Polje) hat in der serbischen Nationallegende zudem eine besondere Bedeutung, da es als Ort des Widerstands der Serben gegen die islamisch-osmanischen Invasoren glorifiziert wird. Gleichwohl wird der Landstrich mit deutlicher Mehrheit von muslimischen Albanern bewohnt – erstmals dokumentiert für das Jahr 1912. Ursächlich hierfür wird jedoch eine Bevölkerungsverschiebung angenommen, die in der höheren Geburtenrate der Albaner und einem Wegzug der Serben ihre Ursache hat.

In diesem Kosovo kam es in den Neunzigern zu der Situation, dass nationalistische Albaner die Loslösung von Serbien forderten, während die serbische Regierung unter Milošević den Autonomiestatus der Provinz deutlich einschränkte. 1996 kam es unter der albanischen UCK zum offenen Kampf mit serbischen Armee-Einheiten, die die Nato 1999 angesichts der Befürchtung eines serbischen Genozids an der albanischen Bevölkerung zum Anlass nahm, unmittelbar gegen Serbien in den Konflikt einzugreifen. Aus der nunmehr dominanten Position der UCK heraus folgten albanische Übergriffe gegen im Kosovo lebende Minderheiten und serbisch-orthodoxe Einrichtungen, in deren Folge bis zu 230.000 Serben und Zigeuner die Region verließen.

Der Konflikt blieb ungelöst

Zwar versuchte die von der UN beschlossene Kfor-Truppe, der auch die deutsche Bundeswehr angehört, die ethnisch-religiösen Konflikte zu befrieden – auch durch die regionale Trennung der Gruppen –, jedoch blieb der Konflikt bis heute ungelöst. Die Albaner gründeten im Jahr 2008 über eine Unabhängigkeitserklärung die Republik Kosovo, die bislang von 115 der 193 Staaten der UN anerkannt wurde. Gleichzeitig verweigert Serbien diese Anerkennung und beharrt darauf, dass der Kosovo territorialer Bestandteil der Republik Serbien ist.

Der Konflikt zwischen Albanern und Serben, der sich heute auf den Nordkosovo als verbliebenes Gebiet der Serben im Kosovo konzentriert, blieb trotz zahlreicher Versuche der EU, Einvernehmen herzustellen, ungelöst. Serbische Separatisten, die den territorialen Anschluss an die Serbische Republik verlangen, agieren nun seit dem 10. Dezember mit Straßenblockaden und anderen Maßnahmen gegen die kosovarische Zentralregierung. Die wiederum erklärt die serbischen Nationalisten zu kriminellen Terroristen, weshalb Gespräche über Konfliktlösungen abgelehnt werden. Offizieller und scheinbar lächerlicher Anlass der Zuspitzung: Die Regierung in Pristina hatte von den Kosovo-Serben verlangt, ihre serbischen Autokennzeichen durch kosovarische zu ersetzen.

Serbien verlangt serbische Schutztruppen

In dieser sich verschärfenden Situation, in der es zu Schusswechseln auch mit den Kfor-Truppen gekommen sein soll, hatte die serbische Regierung beantragt, eigenes Militär zum Schutz der Serben im Kosovo stationieren zu können. Das wiederum wurde umgehend von der Nato-geführten Kfor-Administration abgelehnt, ohne dass diese selbst in der Lage zu sein scheint, den Schutz der Streitenden zu gewährleisten.

Infolge dieser Situation hat der nationalserbische Präsident Vučić am 26. Dezember 2022 seiner serbischen Armee befohlen, an der Grenze zum Kosovo Stellung zu beziehen. Der Auftrag soll lauten: Die Serben im Kosovo mit jedem notwendigen Mittel vor Angriffen der Albaner zu schützen, welche in Belgrad infolge der separatistischen Aktionen der Kosovo-Serben erwartet werden. Belgrad geht dabei davon aus, die russische Rückendeckung zu haben: Moskau hat in der Vergangenheit nicht nur das Nato-Eingreifen an der Seite der Kosovo-Albaner als Begründung für die eigene Militäraktion gegen die Ukraine wegen vorgeblicher Unterdrückung ethnischer Russen angeführt, sondern auch vor allem in Montenegro und Mazedonien versucht, durch pro-russisch/serbische Aktionen die West-Ausrichtung der jugoslawischen Nachfolgestaaten zu unterminieren.

Nachdem derartige Versuche gescheitert waren, ist Serbien der letzte Anker, über den Russland seinen Anspruch auf den Balkan zu sichern versucht. Serbien selbst befindet sich jedoch in einer überaus ambivalenten Situation. Während die nationalserbische Fraktion nach wie vor den Blick nach Moskau gerichtet hält, tendieren vor allem jüngere Serben in Richtung Westen, hoffen darauf, über den Beitritt zur Europäischen Union den Anschluss an die westliche Moderne zu finden.

Die Schizophrenie zwischen EU-Perspektive und Russland

Die Order der serbischen Armee, notfalls auch im Kosovo aktiv zu werden, rückt einen möglichen Beitritt Serbiens zur EU weiter in die Ferne. Zwar hat das Land den Status eines Beitrittskandidaten und führt entsprechende Verhandlungen mit der EU, doch nicht zuletzt die Aussage Vučić’, dass er „niemals eine Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo unterschreiben“ werde, verunmöglicht die EU-Mitgliedschaft. Der Überfall Russlands auf die Ukraine – ähnlich begründet wie der serbische Anspruch auf den Kosovo – könnte nun der nationalserbischen Führung die Motivation gegeben haben, ihrerseits entsprechende Schritte Richtung Kosovo zu planen.

Sollte es tatsächlich zu einer militärischen Auseinandersetzung kommen, könnten allerdings die im Kosovo stationierten Nato-Einheiten selbst zum Ziel werden und zwischen allen Fronten stehen. Führte eine solche Entwicklung zum offenen Konflikt der Nato gegen Serbien, sind mögliche Weiterungen kaum absehbar. Ein Serbien-Konflikt könnte das Augenmerk der Europäer weg von der Ukraine auf den Vorhof im Balkan lenken – eine Entwicklung, die Russland ohne Zweifel gut gefallen würde, auch wenn es nicht unmittelbar in den Serbien-Konflikt involviert sein sollte.
Denkbar ist aber auch, dass Russland in einem solchen Falle eine Schutzgarantie für Serbien übernimmt, um so seinen Einfluss auf dem Balkan zu retten. Sollte dieses mit dem Entsenden von russischem Militär verknüpft werden, welches Serbien nur über Nato-Territorium erreichen kann, stehen unabsehbare Eskalationsvarianten im Raum.

So oder so ist die aktuelle Zuspitzung auf dem Balkan ein Versagen vor allem der EU-Administration, die nicht begreifen kann oder will, dass nationale Identitäten in vielen Regionen Europas nach wie vor prägenden Einfluss haben. Die Ent-Nationalisierung, wie sie die ganz große Koalition von Union bis Kommunisten in der Bundesrepublik betreibt, funktioniert nicht einmal bei den engsten Partnern in Frankreich oder Österreich. In Ländern, die ihr historisches Überleben wie die Serben auf einer national-ethnischen Legende aufgebaut haben, sind die Vorstellungen der weltweiten One-People-Gemeinde derart ab von der Wirklichkeit, dass sie jeden konstruktiven Lösungsansatz von vornherein verhindern. Allein das Wedeln mit EU-Schecks aus Brüssel reicht nicht, um auf dem Balkan die historisch gewachsenen Widersprüche zu überwinden.

So bleibt ein Serbien, dass ein großes Russland im Kreuz hat, auch hundert Jahre nach seiner Auslöserfunktion zur ersten europäischen Weltkatastrophe ein unberechenbarer Faktor, der sich zunehmend mehr von EU und Nato in die Ecke des notorischen Bad Guy gedrängt fühlt. Das Versagen der EU liegt darin, nicht in der Lage gewesen zu sein, im Kosovo eine für alle Beteiligten annehmbare Situation hergestellt zu haben, sondern sich zu einseitig auf die Seite der dortigen Albaner zu schlagen. Das gilt unabhängig davon, dass es durchaus Indizien gibt, die darauf hindeuten, dass an der Eskalation auf kosovo-serbischer Seite auch Kräfte der serbischen Geheimdienste aktiv beteiligt sind.

Geschichte wiederholt sich zwar nicht, aber geschichtliche Abläufe können durchaus Parallelen aufweisen. Die Situation im Süden Serbiens bleibt ein entzündbares Fass, dessen Lunte jederzeit Feuer fangen kann. Es obliegt nun den Verantwortlichen auf westlicher Seite, diese Lunte nicht zur Zündung bringen zu lassen, sondern endlich Wege aufzuzeigen, die beiden Parteien gerecht werden.

Am 29. Dezember ließ Serbiens Präsident wissen, dass die kosovarischen Serben ihre Straßenblockaden abbauen werden. Diese Mitteilung wurde als Zeichen einer Deeskalation gewertet.


Anmerkung von Fritz Goergen im Gedenken an Zoran Đinđić: Der 2001 zum serbischen Ministerpräsidenten gewählte Zoran Đinđić war der einzige Spitzenpolitiker Serbiens, der sein Land politisch demokratisieren und Richtung Westen führen wollte. Deshalb wurde er 2003 auf offener Straße in Belgrad von einem Scharfschützen ermordet. Đinđić kannte das Risiko, ließ sich aber nicht von seinem Weg abbringen.

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