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Kippt die Wiederholung der Berliner Pannen-Wahl im letzten Moment?

Published On: 29. Dezember 2022 16:35

Am 12. Februar sollen die Bürger der Hauptstadt wieder an die Urnen, weil der Wahlgang vom September 2021 ungültig erklärt wurde. Dagegen klagen 43 Berliner – darunter auffallend viele FDP-Politiker, die offenbar um ihre Mandate fürchten.

IMAGO / epd

Am 12. Februar 2023 soll die Wiederholung der Abgeordnetenhaus-Wahl in Berlin stattfinden – weil die Wahl vom 26. September 2021 so massiv von Fehlern, Schlampereien und Manipulationen beeinflusst war, dass das Berliner Verfassungsgericht sie im November als flächendeckend ungültig verworfen hatte. Bisher gilt dieser Termin jedenfalls. Über die Wiederholung der Bundestagswahl für Berlin, die damals am gleichen Tag und unter denselben chaotischen Bedingungen stattfand, muss das Bundesverfassungsgericht aufgrund einer von TE unterstützten Klage noch entscheiden.

Während alle Berliner Parteien schon den Wahlkampf um das Abgeordnetenhaus und die Bezirksversammlungen starteten, versuchen 43 Kläger, die Wahlwiederholung noch im letzten Moment zu kippen. Sie beantragten am 15. Dezember beim Bundesverfassungsgericht den Erlass einer Einstweiligen Anordnung, das Urteil des Berliner Verfassungsgerichts zur Wahlwiederholung an das Gericht zurückzuüberweisen, und die Wahl selbst bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über den Antrag auszusetzen.

„Tichys Einblick Talk“ vom 17.11.

Am 12. Februar des kommenden Jahres, so die Kanzlei Redeker Sellner Dahs im Namen der Kläger, dürfe in Berlin also gar nichts gewählt werden – weder das Landesparlament noch die Bezirksparlamente. Ihre Begründung: Das Urteil des Berliner Verfassungsgerichts verletze die Kläger in ihren Rechten. Worin die vermeintliche Rechtsverletzung besteht, erklärt sich durch den Blick auf die klagenden Personen: Von den 43 haben 26 ein Mandat im Abgeordnetenhaus oder einem Berliner Bezirksparlament inne. Unter ihnen finden sich der FDP-Abgeordnete Stefan Förster, der frühere Berliner Finanzsenator Matthias Kollatz, SPD, die Linkspartei-Abgeordnete Katalin Gennburg und dem Bezirksverordneten der Grünen aus Tempelhof-Schöneberg Bertram von Boxberg.

Unter den 26 klagenden Politikern fällt allerdings eine relativ große Fraktion auf: Mandatsträger der FDP. Insgesamt acht namentlich genannte Kläger gehören den Freien Demokraten an, außerdem klagt die gesamte FDP-Fraktion von Treptow-Köpenick und der gleichnamige FDP-Bezirksverband, vertreten jeweils durch den gleichen Politiker der Freidemokraten. Dass FDP- und Linksparteipolitiker zusammen auffällig viele Kläger stellen, hat einen bemerkenswerten Beigeschmack. Die Linkspartei muss selbst in Berlin wegen des schlechten Bildes der Gesamtpartei mit Stimmverlusten rechnen. Berlins FDP steht in Umfragen zur Wahlwiederholung zwischen fünf und sechs Prozent. Möglicherweise fliegt sie also aus dem Parlament.

Der Verdacht drängt sich auf, dass Politiker mit ihrer Verfassungsbeschwerde vor allem eines verhindern wollen: den Verlust ihres Mandats. Zumindest soll der Parlamentsabschied nicht schon im Februar drohen – daher die Forderung, die Wahlwiederholung, wenn sie denn stattfinden sollte, weit in die Zukunft zu verschieben. Das wirkt um so delikater, als die Berliner FDP-Führung offiziell das Wahl-Urteil des Landesverfassungsgerichts vom 16. November laut begrüßt hatte. Der FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja, bei der Wahlwiederholung erneut Spitzenkandidat, erklärte damals: „Diese Zäsur muss eine Kehrtwende bisheriger Politik einläuten, wir müssen die Kontrolle über unsere desolaten Verwaltungsstrukturen zurückerlangen.“

Und der Berliner FDP-Landeschef Christoph Meyer begrüßte das Urteil seinerzeit als „einzig richtige Entscheidung“. Zum Wahlkampfauftakt erklärte Czaja: „Wir haben das Chaos in Berlin nicht angerichtet, aber wir stehen bereit, es aufzuräumen. Wir treten an, um Verantwortung innerhalb einer Regierung der politischen Mitte zu übernehmen.“

Dass nun vor allem FDP-Politiker vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, um genau diese Wahlwiederholung nach einer chaotischen Pannenwahl zu verhindern, passt denkbar schlecht zur öffentlichen Bekundungen der Parteispitze. „Dass zuvorderst die FDP nun um ihr Überleben bangt und einerseits so tut, als habe man für die Wiederholungswahl gekämpft, aber nun versucht, die Wahlfarce vom 26. September 2021 zu verteidigen, ist mehr als durchsichtig“, kommentiert der frühere Berliner FDP-Abgeordnete Marcel Luthe, der zu den prominenten Anfechtungsklägern vor dem Landesverfassungsgericht gehörte.

Wie begründen die 43 Kläger ihren Versuch, die Wahlwiederholung zu stoppen? Sie argumentieren unter anderem damit, das Berliner Verfassungsgericht habe die Verstöße gegen die Wahlordnung und vor allem deren sogenannte Mandatsrelevanz nicht ausreichend sorgfältig geprüft. Tatsächlich hatte das Landesverfassungsgericht geurteilt, allein schon die schlampige Vorbereitung der Wahl, bei der Stimmzettel vertauscht wurden oder fehlten, und die Zeit zur Stimmabgabe bei der gleichzeitig angesetzten Wahl zu den Bezirksparlamenten, dem Abgeordnetenhaus und dem Bundestag unrealistisch gering angesetzt worden war, weswegen sich die Wahlwilligen vor den Lokalen stauten, reiche aus, um die Wahl als ungültig zu erklären. Darüber hinaus seien die in zahlreichen Protokollen dokumentierten Unregelmäßigkeiten und Verstöße schon ausschlaggebend, es sei nicht nötig, weitere mögliche Verstöße gegen die Wahlordnung zu untersuchen. Mit anderen Worten: Das, was an Verstößen offensichtlich war, langte dem Gericht schon. Dass der Umfang der Verstöße tatsächlich weitaus größer gewesen sein dürfte, dokumentierte die Recherche von TE zur Berlin-Wahl.

Kavaliersdelikt Wahlbetrug?

Welche Chance hat die Beschwerde in Karlsruhe, die Wahlwiederholung in Berlin am 12. Februar 2023 noch zu kippen? Nach Ansicht des Verfassungsrechtlers Ulrich Vosgerau, der die von TE unterstützte Klage von Bürgern auf Wiederholung der Berliner Bundestagswahl vor dem Bundesverfassungsgericht vertritt: gar keine. Die Verfassungsbeschwerde, argumentiert Vosgerau, sei unzulässig, denn in der Sache handle es sich nicht um eine Verfassungsbeschwerde, sondern um den Versuch, Rechte von Abgeordneten geltend zu machen.

Außerdem sei das Bundesverfassungsgericht für die Beurteilung der Abgeordnetenhauswahl räumlich gar nicht zuständig: „Im Bundesland Berlin entscheidet über Neuwahlen auf Landesebene allein der Verfassungsgerichtshof; das Bundesverfassungsgericht wird insofern nicht als ‚Berufungsinstanz‘ tätig, da es für die Auslegung der Berliner Verfassung nicht zuständig ist“, so der Staatsrechtler.

Würde Karlsruhe so entscheiden: dann bliebe trotzdem der Eindruck an Berlins FDP kleben, sich vor allem um ihre Mandate zu sorgen. Falls das Bundesverfassungsgericht die Berliner Wahlwiederholung wirklich verschieben sollte – zwar unwahrscheinlich, aber nicht völlig undenkbar – würde das den einzelnen Mandatsträgern zwar nutzen. Der politische Schaden wäre dann allerdings noch viel größer.


In eigener Sache: Tichys Einblick will die Verfassungsmäßigkeit auch der Bundestagswahlen in Berlin nun durch das Bundesverfassungsgericht prüfen lassen; wir halten dafür, dass auch nach den Wahlprüfungsgrundsätzen im Bund eine komplette Wiederholung auch der Bundestagswahl im Bundesland Berlin erforderlich ist, da insofern keine anderen Maßstäbe gelten können als für die Wahl zum Abgeordnetenhaus. Denn beide Wahlen fanden gleichzeitig, in denselben Wahllokalen, in denselben Wahlkabinen statt – wenn sie denn überhaupt stattfanden und die Wähler nicht zum Beispiel wegen der langen Schlangen wieder nach Hause gegangen waren.

Deshalb hat Roland Tichy, Herausgeber von TE, entschieden, eine Initiative zu gründen, die die Wiederholung der Bundestagswahl in allen Berliner Bezirken einklagen wird. Die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht wird von dem namhaften Verfassungsrechtler Ulrich Vosgerau in Karlsruhe im Namen von zwei Tichys-Einblick-Lesern geführt. Unsere Leser haben bereits mit einer Formulierungshilfe von TE Antrag auf Wahlwiederholung gestellt und sind damit klageberechtigt. Die Klagefrist läuft am 10. Januar 2023 ab. Die Finanzierung hat „Atlas – Initiative für Recht und Freiheit“ übernommen.

Unterstützen Sie bitte die Öffentlichkeitsarbeit dieses Vorhabens.

Für Spenden haben wir bei der Commerzbank Köln das Konto mit der IBAN DE14 3704 0044 0543 2000 02 eingerichtet (Empfänger: TE Sonderkonto Rechtsstreitigkeiten).


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