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Marder für die Ukraine und Putins plattes Propagandageschenk

Published On: 6. Januar 2023 17:34

Während die Bundesregierung sich unter Druck der Verbündeten zur Lieferung von Marder-Schützenpanzern an die Ukraine durchringt, sendet Moskau ein Signal der Verhandlungsbereitschaft. Hintergrund könnte sein, dass dem Kreml nicht nur sein Terrorkrieg, sondern auch der Unterhalt der eroberten Gebiete zu teuer wird.

IMAGO / Sven Eckelkamp

Schützenpanzer Marder der Bundeswehr

Nun hat sich die Bundesregierung doch noch durchgerungen – offenbar wurde der Druck aus den Reihen der Verbündeten in Frankreich und den USA zu groß. Die Bundesrepublik wird der Ukraine Schützenpanzer vom Typ „Marder“ sowie ein Patriot-Raketenabwehrsystem liefern. Laut Nils Schmid, 2016 als SPD-Spitzenkandidat in Baden-Württemberg mit dem bis dahin schlechtesten SPD-Ergebnis abgestraft und heute einer der außenpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, soll es sich um 40 Fahrzeuge handeln. Damit nimmt die SPD Abschied von einer Position, die sie seit Beginn des russischen Überfalls auf das Nachbarland auch mit Lügengeschichten zu verteidigen suchte. So scheint nun sogar Bewegung in die Debatte um die Lieferung von schweren Panzern Typ „Leopard 2“ zu kommen. Saskia Esken (SPD) ließ via ntv wissen, dass ihr Bundeskanzler gegenwärtig Gespräche mit den Partnern darüber führe, ob oder eher wann die von der Ukraine dringend benötigten Kampfpanzer geliefert werden können.

Für die Koalitionspartner nur ein erster Schritt

Keine Leos für die Ukraine

Zwar begrüßten die Koalitionspartner die bislang von der SPD blockierte Marder-Entscheidung, doch wiesen sowohl die Sprecher der FDP als auch der Grünen darauf hin, dass sie ein halbes Jahr zu spät gekommen sei. Tatsächlich wird die Ausbildung an den Geräten westlicher Bauart noch bis mindestens Ende Februar andauern – viel Zeit für Russland, sich darauf einzustellen. Anton Hofreiter, vehementer Vertreter einer harten Linie und Ex-Fraktionssprecher der Grünen: „Aber es wäre natürlich deutlich besser gewesen, wenn das bereits vor Monaten passiert wäre. Denn der Glaube, man könne mit relativ zurückhaltenden Waffenlieferungen dafür sorgen, dass Putin nicht weiter eskaliert, war damals falsch und ist auch heute falsch.“

Das wiederum gelte nun vor allem für den Bedarf an Leo2-Panzern, ohne die Kiew die russisch besetzten Gebiete nach Experteneinschätzung kaum wird befreien können. Vor allem aber machen die avisierten Schützenpanzer militärisch vor allem dann Sinn, wenn sie im Verbund mit den Vorstößen der schweren Panzer die Infanterie geschützt ins Kampfgebiet bringen können. Insofern ist davon auszugehen, dass die Debatte um die Lieferung des schweren Geräts nun erst recht an Fahrt aufnehmen wird. Hofreiter wies bereits darauf hin, dass die aus seiner Sicht viel zu spät gefallene Entscheidung zur Lieferung der Schützenpanzer viele ukrainische Soldaten unnötig das Leben gekostet habe.

Moskau bleibt bei der Tatsachenverdrehung

Die Reaktion aus Moskau fällt entsprechend aus. Anatoli Antonow, Botschafter in Washington, warf dem Westen in der üblichen Verkehrung der Fakten vor, durch die Waffenlieferung einen „mangelnden Willen zur Beilegung des Krieges“ zu dokumentieren. „Es sollte kein Zweifel daran bestehen, wer für die Verlängerung des jüngsten Konflikts verantwortlich ist,“ sagt er und meint dabei nicht Russland, das den völkerrechtswidrigen Überfall zu verantworten hat, sondern jene Staaten, die das Opfer in seinem Kampf gegen den Aggressor unterstützen.

Verhandlungsangebot mit Unterstellungen

Ohnehin sind die Signale aus Moskau zunehmend verwirrend. So hat Putin nun erklärt, er wäre sofort zu Verhandlungen mit der Ukraine bereit, wenn diese akzeptiere, dass sie territoriale Zugeständnisse zu machen habe. Unabhängig davon, dass Kiew an der völkerrechtlich abgesicherten Position festhält, sein gesamtes Staatsgebiet von russischem Einfluss geräumt zu sehen, kann Putins Äußerung dahingehend interpretiert werden, dass die ursprüngliche Position, zumindest sämtliche über Scheinreferenden annektierten Provinzen, die es zu einem Großteil niemals erobert hatte, zu behalten, nicht mehr als conditio sine qua non betrachtet wird.

Hintergrund könnte sein, dass dem Kreml nicht nur sein Terrorkrieg, sondern auch der Unterhalt der eroberten Gebiete zu teuer wird. Das jedenfalls erklärte das britische Verteidigungsministerium am Freitag unter Berufung auf Geheimdienstinformationen: „Jetzt, da der Kreml sich offen dazu verpflichtet hat, die Separatistengebiete zu unterstützen, werden sie eine große politische, diplomatische und finanzielle Belastung für Russland darstellen, lange über die derzeitige Phase des Konflikts hinaus.“

Kyrills bestellte Botschaft

Während in die Unterstützungsdebatte deutliche Bewegung kommt, versucht sich Moskau mit einer pseudoreligiösen Propagandashow zum orthodoxen Weihnachtfest. Den Ball ließ sich der Kremlchef von seinem Vertrauten Kyrill, Patriarch von Moskau und kirchlicher Kriegstreiber im Dienste Putins, zuspielen. Der veröffentlichte einen Appell, dessen tatsächliche Botschaft genau jene ist, die Putin zu verbreiten sucht: Einen ukrainischen Staat gibt es nicht – und jeder Ukrainer ist ein faschistischer Nationalist. Doch das großrussische Reich der Moskowiter kann gnädig sein, wenn es der böse Feind zulässt.

Die klerikale Botschaft lautete: „Ich, Kyrill, Patriarch von Moskau und der ganzen Rus, appelliere an alle Parteien, die in den brudermörderischen Konflikt verwickelt sind, das Feuer einzustellen und einen Waffenstillstand zu Weihnachten zu schließen, damit die orthodoxen Menschen an Heiligabend und am Tag der Geburt Christi an Gottesdiensten teilnehmen können.“

Putin, nicht dafür bekannt, irgendwelche religiösen Gefühle zu entwickeln, reagierte auf die bestellte Bitte selbstverständlich umgehend und erließ ein entsprechendes Dekret an die in der Ukraine stationierten Invasoren, verknüpft mit der Aufforderung an Kiew, diesem Beispiel zu folgen. Dort allerdings wies man das Ansinnen umgehend zurück: Es handele sich um bloße Propaganda und den Versuch, den gebeutelten russischen Truppen eine Kampfpause zu verschaffen.

Der KGB-Offizier als Kirchenoberhaupt

Was scheinbar heilig daherkommt, wird verständlich, wenn der Blick auf die Rolle des besagten Kyrill geworfen wird. Der wurde am 20. November 1946 im damaligen Leningrad als Wladimir Michailowitsch Gundjajew geboren. Nach einem Studienaufenthalt in Deutschland, mit dem er sich den Einstieg in die kirchliche Laufbahn der Russisch-Orthodoxen Kirche organisierte, trat er 1972 dem russischen Geheimdienst KGB als Agent und späterer Offizier bei. Seit dieser Zeit gilt er als Weggefährte Putins. Während der eine seine totalitäre Position in der russischen Politik aufbaute, ging der andere den Weg durch den Klerus der Orthodoxie, wurde am 6. Dezember 2008 von einem Sieben-Personen-Gremium zum Patriarchen von Moskau und damit zum Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche gewählt.

Seitdem vertritt Gundjajew die auch von Putin geteilte, nationalfaschistische Ideologie des Aleksandr Dugin, wonach Russland eine natürliche, gottgewollte Führungsrolle in der Welt ausüben müsse, die vom Atlantik über den Pazifik hinaus zu reichen habe. In diesem Anspruch entwickelte sich bereits vor dem russischen Ukraine-Überfall 2014 eine zunehmende Diskrepanz zwischen der staatsnahen Orthodoxie in Russland und in der Ukraine, die letztlich dazu führte, dass sich die ukrainische orthodoxe Kirche von Moskau lossagte und die Autokephalie als Selbständigkeit erklärte.

Für Gundjajew war dieses eine ähnliche Kampfansage wie der Wille der ukrainischen Mehrheit, sich politisch weg von Moskau und hin zu EU und NATO zu begeben. Als im Januar 2019 die Unabhängigkeit der Ukrainischen Kirche vom Patriarchen von Konstantinopel anerkannt wurde und im Mai das Griechisch-Orthodoxe Patriarchat von Alexandria und ganz Afrika sowie im November 2020 die Orthodoxe Kirche von Zypern diesem Schritt folgten, geriet die russische Orthodoxie zunehmend in Isolation – für Kyrill eine schismatische Situation, in der er jegliche gemeinsamen Gottesdienste und Kooperationen aufkündigte.

Die Kirche als staatspolitischer Erfüllungsgehilfe

Mit seinem „Appell“ knüpfte Gundjajew nun ganz im Sinne Putins an seinen isolationistischen Großherrschaftsanspruch an. Sind für Putin die Ukrainer nationalfaschistische Verräter, sind es für Gundjajew häretische Schismatiker und Abtrünnige. Insofern hat Gundjajew als Kyrill auch keinerlei Problem damit, wenn die russischen Invasoren nun in der Ukraine die Gotteshäuser zerstören.

Mit seinem Waffenstillstandsaufruf knüpft Gundjajew gezielt an die Illusion einer großrussischen Orthodoxie an, spricht in seinem Selbstverständnis als „Patriarch der ganzen Rus“, womit er auch die Ukraine beansprucht, von einem „Brudermord“. Der anklagende Finger weist dabei wie stets gegen die Unabhängigkeit der Ukraine – nicht Russland, das sein Nachbarland mit einem Terrorkrieg überzogen hat: Die abtrünnigen Brüder in der russischen Westprovinz, die von den Nationalisten als Ukraine bezeichnet wird, tragen demnach die Verantwortung für das Töten. Sie, die sich der Diktatur Moskaus politisch wie klerikal entziehen wollen, werden als Täter betrachtet – nicht jene russisch-rassistischen Nationalisten im Kreml, die die Ukraine überfallen haben.

Kiews ungeschickter Umgang mit der Kirche

Tatsächlich mag der Propaganda-Coup in ukrainischen Kirchenkreisen sogar eine gewisse Zustimmung organisieren. Aus der selbständigen Orthodoxie der Ukraine sind zunehmend Klagen zu hören, dass seitens des Ukrainischen Geheimdienstes ein Generalverdacht gegen jene bestehe, die sich als Ukrainer von Moskau losgesagt hätten. Der SBU sieht sich in seinem Verdacht bestärkt, da der Patriarch der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche trotz der Kriegshandlungen gleich Kyrill von einem „Bruderkrieg“ spricht und in der Liturgie ein Lied des Titels „Erwachen Mütterchen Russlands“ gesungen wurde. Daraufhin leitete der SBU Ermittlungen ein und unternahm Razzien in Klöstern und kirchlichen Einrichtungen, in denen geheime Waffenlager sowie Spione und Saboteure vermutet wurden. Es liegt auf der Hand, dass Moskau das Vorgehen des SBU nutzte, um der ukrainischen Führung vorzuwerfen, „seit Langem einen Krieg gegen die Orthodoxe Kirche“ zu führen.

Eine Männerfreundschaft im Kampf von gestern

Das propagandistische Ziel der Moskauer Waffenstillstandsaktion ist insofern unübersehbar: Da die Ukraine, wie bereits geschehen, diesen leicht zu durchschauenden Akt ablehnen muss und die Waffen nicht ruhen lassen wird, wollen Gundjajew und Putin den Gläubigen in Russland und in der Ukraine vorführen, welche Antichristen gegenwärtig in Kiew das Sagen haben.

Der Erfolg dieses Schwarzer-Peter-Spiels wird allerdings in der Ukraine eher gering ausfallen. Und das auch deshalb, weil es Putin in den vergangenen Monaten gelungen ist, die ukrainische Nationalidentität unverrückbar in der Abkehr von den „russischen Brüdern“ zu manifestieren. Vor allem die Attacken auf die zivile Infrastruktur, zuletzt durch den intensiven Beschuss anlässlich des Jahreswechsels zu einem neuen Höhepunkt geführt, rückt den Einfluss der Russisch-Orthodoxen Kirche in der Ukraine gänzlich in die Bedeutungslosigkeit. Das Moskauer Patriarchat hat nicht zuletzt durch die antiklerikale Phase zwischen 1917 und 1990 und nun zudem durch die kriegstreiberische Position des Moskauer Patriarchen jede Vorbildfunktion verloren. 

So wird auch dieses Putin-Dekret, zu dem Kyrill die Rolle des bestellten Stichwortgebers gab, nicht nur in der Sache, sondern auch in seiner propagandistischen Wirkung verpuffen. Es ist nichts anderes als ein weiterer Beleg dessen, was ich bereits im Sommer in der TE-Printausgabe geschrieben hatte: Im Kreml kämpft eine Generation der UdSSR-geprägten Greise in den Ideologien des 19. Jahrhunderts verzweifelt um ihr bereits untergegangenes Reich. Dagegen steht eine postsowjetische Generation, die den Blick auf eine selbstbestimmte Zukunft gerichtet hat und das Patriarchat der Greise nicht länger akzeptiert. Die Männerfreundschaft Putin-Gundjajew steht politisch wie klerikal auf verlorenem Posten – sie weigert sich nur beharrlich, das zu akzeptieren.

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