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Ist eine Union zwischen Polen und der Ukraine möglich?

Published On: 15. April 2023 8:00

Die polnische Regierung bringt sich in Stellung, um bei der ersten Gelegenheit westukrainische Gebiete – oder das ganze Land – zu schlucken. Ein möglicher Weg ist eine von Polen kontrollierte Föderation der beiden Staaten.

Der Anti-Spiegel hat oft über die Ambitionen der polnischen Regierung berichtet, die Ukraine irgendwie zu übernehmen. Der Grund ist, dass die nationalistischen Kreise in Polen, die die polnische Regierung dominieren, davon träumen, die alte Größe wiederherzustellen, die das von Polen kontrollierte polnisch-litauische Reich vor einigen Jahrhunderten hatte.

In der russischen Nachrichtenagentur TASS ist eine interessante Analyse über die Möglichkeiten der Schaffung einer polnisch-ukrainischen Union und die Chancen dafür erschienen, die ich übersetzt habe.

Beginn der Übersetzung:

Taktisches Manöver oder strategischer Plan: Ist eine Union zwischen Polen und der Ukraine möglich?

„In Zukunft wird es keine Grenzen zwischen unseren Völkern geben: keine politischen, wirtschaftlichen und – ganz wichtig – keine historischen“, sagte der ukrainische Präsident Wladimir Selensky Anfang April bei einem offiziellen Besuch in Polen. Überhaupt äußert er oft lautstark blumige Phrasen, deren Bedeutung nicht nur seinen Zuhörern, sondern offenbar auch ihm selbst unklar bleibt. Doch dieses Mal gelang es ihm tatsächlich, die Aufmerksamkeit von Politikern und Experten auf sich zu ziehen und sie zum Nachdenken anzuregen: Was hat der ukrainische Präsident eigentlich gemeint?

Polens großer Traum

„Die Kontrolle über die westlichen Gebiete der heutigen Ukraine, die so genannte Rzeczpospolita, durch Polen zu erlangen, ist ein alter Traum der polnischen Nationalisten. Und er wird zu einem Element der nationalen Ideologie, so dass diese Idee von der polnischen Führung nicht aufgegeben werden kann. <…> Ich würde sagen, dass die polnische Führung buchstäblich auf den richtigen Moment wartet, um die Kontrolle über diese Gebiete auszuüben“, warnte Sergej Naryschkin, Direktor des russischen Auslandsgeheimdienstes, nach seinem Treffen mit dem weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko in Minsk.

Vielleicht empfand man diese Worte damals, vor allem im Westen, als etwas propagandistisch, allerdings hat Selensky buchstäblich am nächsten Tag verkündet, dass es künftig keine Grenzen zwischen der Ukraine und Polen geben werde. Die Art und Weise, wie polnische Medien und Experten auf die Worte des Kiewer Präsidenten reagierten, bestätigte die Meinung vom Chef des Auslandsgeheimdienstes: Ja, Warschau hat in der Tat große Pläne, um die Kontrolle zu erlangen, wenn nicht über die gesamte Rechtsufrige Ukraine, so doch sicherlich über ihre westlichen Regionen.

Die einflussreiche polnische Zeitung Rzeczpospolita reagierte auf Selenskys Erklärung mit einem großen Artikel unter der enthusiastischen Überschrift „Lasst uns die Rzeczpospolita wiederherstellen! Diesmal mit der Ukraine.“ Der Autor des Artikels, der sich auf eine Veröffentlichung in der renommierten amerikanischen Zeitschrift Foreign Policy beruft, schreibt, dass die Wiederherstellung der „historischen Rzeczpospolita“ eine starke Barriere gegen die „russische Bedrohung“ schaffen und die Verwirklichung der außenpolitischen Ambitionen Moskaus verhindern würde. Als historisches Beispiel führt er die Union von Lublin an, ein Bündnis zwischen Polen und Litauen im 16. Jahrhundert, das faktisch zur Auflösung des unabhängigen litauischen Staates und dazu führte, dass er durch den stärkeren Partner geschluckt wurde.

Meiner Meinung nach spiegelte dieser Zeitungsartikel die strategischen Absichten der polnischen Regierungselite wider: So wie der ehemalige US-Präsident Donald Trump „Amerika wieder groß machen“ wollte, hofft man in Polen, das frühere Gewicht in europäischen Angelegenheiten zurückzubekommen. Und mehr noch: sie wollen Polen zu einem neuen Machtzentrum gegen das „alte Europa“ in Form von Deutschland und Frankreich machen. Genau das hat der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki bei seinem jüngsten Besuch (11. bis 13. April) in den USA gesagt: „Das alte Europa“, das Verträge mit Russland anstrebte, wurde besiegt, aber es gibt ein „neues Europa, das die Grundlage der europäischen Sicherheit werden will.“ Und Polen ist offenbar sein Anführer. Und überhaupt sind Polen und die USA die beiden Pole der westlichen Zivilisation.

Imperiale Ambitionen

In diesen Worten klingen sowohl alte historische Klagen über den Verlust eben dieser Rzeczpospolita als auch vergleichsweise aktuelle Ereignisse an. Die Polen haben die Meme über den „polnischen Klempner“ nicht vergessen, der zum Symbol für die billigen Arbeitskräfte wurde, die nach dem Beitritt der osteuropäischen Länder zur EU die europäischen Märkte überschwemmten. Der Konflikt um die Ukraine, der 2014 begann, hat Warschau einen Grund gegeben, mit seinen Gegnern in der Alten Welt abzurechnen, während die russische Militäroperation offenbar neue Möglichkeiten für die Wiederbelebung des Inter-Mare-Projekts eröffnet hat – der Schaffung einer Konföderation, die sich von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer erstreckt, mit Polen als Zentrum der Regierungsführung und Entscheidungsfindung.

Polen ist es bereits gelungen, einige Erfolge zu erzielen, um diesen strategischen Plan umzusetzen. So hat die französische Zeitung Le Monde auf die Entstehung einer neuen Gruppe von ideologisch geeinten Ländern in Europa hingewiesen, zu denen Polen, die baltischen Staaten und Rumänien gehören. Warschau „arbeitet“ auch zunehmend mit Finnland und Moldawien zusammen. Natürlich werden Polens neoimperiale Ambitionen in Berlin, Paris und anderen Hauptstädten des „alten Europa“ nicht gern gesehen, aber sie werden von Washington aktiv unterstützt: Es profitiert von dem internen Kampf um Einfluss, der die EU schwächt und es ihm ermöglicht, eine für die USA vorteilhafte Verhaltenslinie durchzusetzen. Es ist kein Zufall, dass die ukrainische Frage (neben dem Thema der Konfrontation mit Russland) eines der zentralen Themen bei den Gesprächen zwischen Morawiecki und US-Vizepräsidentin Kamala Harris war, die „Polens führende Rolle bei der Unterstützung der Sicherheit der Ukraine“ hervorhob. Der polnische Ministerpräsident selbst nutzte seinen Besuch in den USA auch als Gelegenheit, um das „alte Europa“ anzugreifen.

London steht nicht abseits: Wenn es Warschaus Pläne unterstützt, bedeutet das zumindest eine teilweise Rückkehr der Einflussmöglichkeiten auf die europäische Politik, die nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU verloren gegangen sind.

Kurzfristige Gewinne

Strategie ist eine gute Sache, aber die Polen haben das praktische Kalkül auf dem Weg zum fernen Ziel nicht vergessen. So wurde Polen nach dem Beginn der russischen Militäroperation schnell zu einem der Hauptlieferanten von Waffen und Munition für Kiew. Warschau tut das nicht umsonst: Laut Morawiecki rechnet Polen damit, bald 800 bis 900 Millionen Euro als Ausgleich für Waffenlieferungen an Kiew aus europäischen Fonds zu erhalten. Darüber hinaus erhält Warschau anstelle alter, oft ausgemusterter Waffen sowjetischer Bauart, moderne militärische Ausrüstung aus den USA. So unterzeichnete Warschau Anfang dieses Jahres einen weiteren Vertrag im Wert von 1,4 Milliarden Dollar, der die Lieferung von 116 Abrams-M1A1-Panzern und deren Ausrüstung sowie deren logistische Unterstützung vorsieht.

Und neulich sagte der stellvertretende polnische Finanzminister Artur Soboń, Warschau solle „das Zentrum werden, über das der Wiederaufbau der Ukraine finanziert wird.“ „Das ist etwas, das uns sehr am Herzen liegt, wir wollen, dass Polen so weit wie möglich das Zentrum für diese Art von Projekten ist“, fügte er hinzu. Natürlich liegt ihm das am Herzen: Er sitzt auf den Finanzströmen aus dem gesamten Westen – etwas, um das ihn wohl selbst Ostap Bender, der 400 relativ ehrliche Wege kannte, Geld zu nehmen, beneidet hätte.

Noch offener formulierte Katarzyna Pelczyńska-Nałęcz, Direktorin des Instituts für Strategie-2050 und ehemalige stellvertretende Außenministerin und polnische Botschafterin in Russland, ihre Position: „Es ist sehr wichtig, dass wir den Wiederaufbau der Ukraine mit westlichem und EU-Geld so organisieren können, dass er für Polen von Vorteil ist.“

Wie man seine eigenen Interessen pflegt, zeigte der Umgang Warschaus mit dem Zustrom ukrainischen Getreides, dessen massive Verschiffung die Einkommen der polnischen Landwirte beeinträchtigt und Proteste ausgelöst hat. Zunächst verlangte die polnische Regierung von der EU die Wiedereinführung von Zöllen auf ukrainische Agrarerzeugnisse, was Brüssel jedoch ablehnte. Und dann, noch bevor die Worte des ukrainischen Präsidenten über den künftigen Wegfall der Grenzen zwischen den beiden Ländern verhallt waren, organisierte Warschau ein Treffen der polnischen und ukrainischen Agrarminister an der bestehenden Grenze, bei dem Polen darauf bestand, die Lieferungen von ukrainischem Weizen, Mais, Raps und Sonnenblumen zu stoppen. Vorerst allerdings nur bis zum 1. Juli, aber danach wird man sehen.

Eine der Optionen

Im Gegensatz zu Warschau, das weitreichende Pläne hat, scheint die ukrainische Regierung nur eine Strategie zu verfolgen – den Beitritt zur EU und zur NATO, in welcher Form auch immer, um jeden Preis. Die Idee der polnisch-ukrainischen Union ist eine der Optionen, um das angestrebte Ziel zu erreichen.

Wie das ukrainische Portal Strana berichtet, wird in Expertenkreisen, die Selenskys Büro nahestehen, seit einiger Zeit die Idee einer Konföderation der beiden Staaten diskutiert. „Diese Idee sieht bisher wie etwas Exotisches aus. Dennoch hat sie sich als eine der Optionen für die Beantwortung einer wichtigen, man könnte sagen, strategischen Frage herauskristallisiert, nämlich wie die Sicherheit der Ukraine gewährleistet werden kann, wenn unserem Land der NATO-Beitritt verweigert wird“, so einer der Gesprächspartner des Portals.

Experten, die vom ukrainischen Portal Apostrof befragt wurden, vertraten die Ansicht, dass Selenskys Äußerung als ein Schritt zur Bildung einer Art Verteidigungsbündnis zu sehen sei, das Kiew Sicherheitsgarantien geben würde. Und für solche Garantien ist man bereit, jeden Preis zu zahlen, auch territoriale Zugeständnisse.

Das Problem bei allen Vorhersagen zur Schaffung einer polnisch-ukrainischen Union ist, dass die Ukraine dafür den Krieg mit Russland gewinnen muss. Dessen ist man sich aber keinesfalls sicher, im Gegenteil – selbst im Westen wachsen die Zweifel an der Sinnhaftigkeit einer weiteren Unterstützung Kiews.

Daher neige ich zu der Annahme, dass die Union niemals zustande kommen wird. Allerdings könnte Selensky Polen die begehrte östliche Rzeczpospolita abtreten.

Ende der Übersetzung


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