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Covid-Pandemie: Es braucht eine echte Aufarbeitung

Published On: 4. Mai 2023 0:01

Veröffentlicht am 4. Mai 2023 von Red.

«Das Schliessen von Kitas ist definitiv medizinisch nicht angemessen (und wäre auch in dem Umfang, wie wir es damals gemacht haben, nach heutigem Wissen nicht nötig) gewesen», konnte Karl Lauterbach im November 2022 erkennen. In den Medien war daraufhin zu lesen: «Sie wollten einfach nicht hören! Wie unsere Politiker die Fakten ignorierten.»

«Als eine Journalistin fragte, ob er (gemeint ist Lauterbach) seinen Irrtum nicht bedaure, antwortete er kühl: ‹Ich halte nichts von Schuldzuweisungen. Man muss immer den guten Künsten und der Wissenschaft folgen und das was neu ist nutzen, um nach vorn zu gehen.› Kein Wort des Bedauerns. Kein Wort des Mitgefühls. Kein Versprechen, in Zukunft etwas vorsichtiger zu sein, wenn man ‹den guten Künsten und der Wissenschaft› folgt, die man gerade für richtig hält.»

Im Januar 2023 räumte Lauterbach im Spiegel dann ein, dass auch das Schliessen von Schulen ein Fehler gewesen sei, … allerdings hätten Wissenschaftler dazu geraten. Wenig später erschien ein Interview mit Karl Lauterbach und Christian Drosten im Spiegel.

Darin hiess es dann wenig überraschend, die wissenschaftliche Beratung durch Herrn Drosten sei natürlich korrekt gewesen, schuld sei vielmehr der bayrische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) gewesen, der angekündigt hatte, alle Schulen in Bayern zu schliessen, woraufhin alle anderen Länder auch umgekippt seien.

Dem Einwand des Journalisten, dass Kinderärzte bereits im April/Mai 2020 vor den Folgen der Schulschliessungen gewarnt hätten und der Frage, ob er das schlicht nicht ernst genug genommen habe, weil er nur Virologen und Epidemiologen gehört worden seien, hält Lauterbach entgegen:

«Die Stimmen, die eine Ansteckungsgefahr durch Kinder anerkannt haben und sich trotzdem gegen Schulschliessungen ausgesprochen haben, waren nicht laut genug.» Darüber hinaus bezeichnete er viele Regeln für draussen als «Schwachsinn» und «Exzesse».

«Die sich gegen Schulschliessungen ausgesprochen haben, waren nicht laut genug»

Jetzt wissen wir, was falsch gelaufen ist: Nicht «die Politik», nicht die von der Politik berücksichtigten und hofierten Wissenschaftler, im Wesentlichen einige Virologen und Modellierer, sind schuld. Nein, es sind die Fachleute, die Pädiater, die Hygieniker, die Elterninitiativen, die nicht laut genug waren.

Diese haben sich zwar bereits früh und immer wieder evidenzbasiert und kritisch zu Wort gemeldet und zahlreiche Stellungnahmen verfasst, aber das wurde von den Medien meist verschwiegen oder diffamiert und von der Politik nicht wahrgenommen, auch nicht von Lauterbachs Vorgänger Jens Spahn (CDU), obwohl ihnen die Stellungnahmen oft auch persönlich überreicht wurden.

Nicht laut genug also. Man war damals (wie heute?) schnell in der – sehr grossen und ständig anwachsenden – Gruppe der «Querdenker», Corona-Leugner etc., was für die Regierenden und die sie beratenden Wissenschaftler Grund genug war, sich nicht mit unangenehmen Fragen und Stellungnahmen befassen zu müssen, die der aktuellen eigenen Sichtweise entgegenliefen. So einfach war (und ist?) das.

Die Wochenzeitung Zeit hat im Januar 2023 Politiker und Wissenschaftler gefragt, wo sie sich in der Pandemie geirrt haben. Einige – zumeist Modellierer – meinten, sie hätten nicht ausreichend kommuniziert und ihre Positionen (z. B. No Covid) nicht gut genug erklärt. Auch habe man sich in den Menschen geirrt und nie gedacht, dass diese so stark auf Modelle und Debatten reagieren.

Die politischen Massnahmen hätten aber immer nur auf Basis des aktuellen Wissensstandes getroffen werden können. Bemerkenswert hingegen die Stellungnahme des damaligen Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen Armin Laschet (CDU), der die im Rückblick überzogene Regelungswut ansprach und fortfuhr:

«Wir haben uns davon noch nicht ganz erholt, bis heute sind Reste dieser Coronaregeln, vor allem aber dieses Denkens übrig geblieben. Die Methode, die wir da angewandt haben, halte ich für hochgefährlich: Wenn man auf dem Verordnungswege – nicht über parlamentarisch beschlossene Gesetze – fundamentale Grundrechte ausser Kraft setzt, und zwar ohne grosse öffentliche Beteiligung, geht man keinen guten Weg. Ich habe Sorge, dass künftig auch zu anderen Zwecken und zu jedem beliebigen Thema so agiert wird. Von Klimaaktivisten ist die Forderung ja schon zu hören. Ich würde das heute nicht noch einmal so mitmachen. Das sollte sich nicht etablieren.» (…)

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung sieht unter dem Titel «Halbseidene Pandemie-Nachlesen» am Beispiel einer Cochrane Review zur Frage der Wirksamkeit von Masken im Alltag Rechthaberei, gezielte Desinformation und Anfeindungen auf einem weiteren Höhepunkt. Statt die Review genauer darzustellen und die Ergebnisse zu erklären, werden unterschiedliche Meinungen respektive Aussagen gegeneinandergestellt.

Die Süddeutsche Zeitung unterstellt im Blick auf die derzeit stattfindende Rückschau, dass die meisten, die sich jetzt äussern, vor allem recht gehabt haben wollen.

Mir liegt Rechthaberei fern. Es geht hier nicht um ein Lauterbach-, Drosten- oder sonstiges -bashing, wenngleich manche Äusserungen und Daten ein durchaus bemerkenswertes Wahrheits- und Wissenschaftsverständnis zeigen.

Aber wir sollten – auf allen Seiten – nüchtern die Fehler der vergangenen drei Jahre betrachten und uns fragen, wie es dazu kommen konnte, und vor allem: was wir für die Zukunft daraus lernen können und müssen.

Seit Ende 2022 ziehen Experten aus den verschiedensten Fachrichtungen in Gastbeiträgen in der Berliner Zeitung in der Reihe «Corona Debatte» ihre Schlussfolgerungen. Einige davon und weitere aus anderen Medien werden nachfolgend auszugsweise vorgestellt.

Mikroskop-Wissenschaft statt breit gefächerter Public-Health-Perspektive

Die Politik ist stets nur der Wissenschaft gefolgt? Nein. So schreibt der Psychologe Peter Wiedemann:

«… die Politik verfolgte ihre eigene Agenda: Es ging ihr um vorsorglichen Alarmismus. Der Trick, um dennoch behaupten zu können, man folge der Wissenschaft, war simpel: Politik reduzierte die Wissenschaft auf diejenigen Wissenschaftler, die ihr für die Mobilmachung gegen das Virus brauchbar erschienen. Pointiert ausgedrückt: Dem Slogan ‹Following the Science› ging zunächst immer die eigene Entscheidung voraus, welche Wissenschaftler die Leitwölfe sein sollten – von einer Ergebnisoffenheit der Politik, die ‹der› Wissenschaft folgt, konnte also von Beginn an keine Rede sein. (…) Politik orientiert sich somit an einigen Protagonisten einer Mikroskop-Wissenschaft, wo eigentlich eine breit gefächerte Public-Health-Perspektive nötig gewesen wäre», so Wiedemann weiter. Er war bis Ende 2013 am Forschungszentrum Jülich tätig mit den Schwerpunkten Risikokommunikation, Kommunikation und Evidenzbewertung.

Er schildert den grossen Konformitätsdruck und erinnert an die Abberufung eines Gesundheitsamtsleiters in Bayern, der Kritik an den Corona-Massnahmen der bayerischen Staatsregierung geübt hatte.

Martin Haspelmath, vergleichender Sprachforscher am Max Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig mit Schwerpunkt Wissenschaftsphilosophie und -kritik, sieht ein grundsätzliches Problem darin, dass der wichtige Grundsatz jeglicher Wissenschaft, nämlich die Skepsis angesichts weitreichender Schlussfolgerungen, nicht beachtet wurde.

«Dass viele politische Massnahmen nicht durch gute wissenschaftliche Evidenz gedeckt waren, drang nicht an die Öffentlichkeit durch. Das Netzwerk für evidenzbasierte Medizin hat immer wieder darauf hingewiesen, aber in den Medien kamen vor allem meinungsstarke Persönlichkeiten zu Wort, die die Marschrichtung zu kennen schienen und denen man vertraute.»

Am ehesten hätte «die Allianz der Wissenschaftsorganisationen oder die Leopoldina (die nationale Akademie der Wissenschaften) (…) die Prinzipien der Wissenschaft hochhalten können (und müssen), und auf das mangelhafte Wissen und die schlechten Daten hinweisen müssen».

Aber das Gegenteil sei der Fall gewesen: «… als bereits alle Impfwilligen gut geschützt waren, forderte die Leopoldina ‹klare und konsequente Massnahmen› und beklagte sogar die ‹Vielstimmigkeit der Einschätzungen›, statt sie einzufordern».

Der Wissenschaftsphilosoph Michael Esfeld schreibt: «Wissenschaft, die sich in der Coronapolitik für die technokratische Steuerung der Bevölkerung missbrauchen lässt, schadet sich und der Gesellschaft.»

Er sieht in der Corona-Politik den «bisherigen Höhepunkt eines neuen Szientismus und Kollektivismus» und «eine durch Wissenschaft, Politik und Medien geleitete Entmündigung des Menschen».

Bereits zu Beginn der Pandemie hätten «einige wenige, medienaffine Wissenschaftler eine enorme Sichtbarkeit» erlangt, schreibt Prof. John Ioannidis, sie seien «öffentlich heroisiert oder dämonisiert» worden, was zur «Überhitzung der eigentlichen wissenschaftlichen Debatte» beigetragen hätte.

Der in der Wissenschaft notwendige, fair abwägende Diskurs und saubere wissenschaftliche Spielregeln seien auf der Strecke geblieben («das hatte nichts mit sauberen wissenschaftlichen Spielregeln zu tun»). Leider hätten auch Leitmedien oft zu früh und zu einseitig Partei ergriffen, so Ioannidis, renommierter Epidemiologe an der Stanford University.

Prof. Jonas Schmidt-Chanasit, Virologe am Bernhard Nocht-Institut, selbst mit Shitstorms überzogen, erklärt die Herausforderungen für Wissenschaftler im Zusammenspiel mit Journalisten.

«Hier prallen sehr unterschiedliche Welten aufeinander, die der Wissenschaft und die des Journalismus. (…) Das sorgt mitunter für Missverständnisse und Frust: Wissenschaft sucht Komplexität, Journalismus will Komplexität reduzieren. Wissenschaft wägt ab, Journalismus spitzt zu. Wissenschaft feiert den Widerspruch, Journalismus inszeniert den Streit. Die Währung der Wissenschaft sind Publikationen komplexer Erkenntnisse, die des Journalismus häufig Auflage und Quote durch möglichst einfache Botschaften. (…) Da liegt es natürlich nahe, einen wissenschaftlichen Streit zu einem ‹Virologen-Zoff› hochzuschreiben oder gar Kriegsrhetorik zu bemühen. Die sozialen Medien wirken noch als Brandbeschleuniger.»

Zum schwierigen Austarieren des Spannungsverhältnisses zwischen wissenschaftlichem Wissen, gesellschaftlichen Interessen und politischem Handeln gebe es wohl kaum eine Alternative. «Und Jens Spahn hatte recht: Wir müssen uns eine Menge verzeihen. Jetzt ist die Zeit dafür.»

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Dieser Beitrag ist in voller Länge zuerst im Hessischen Ärzteblatt erschienen (siehe hier). Es handelt sich hier um eine gekürzte Version. Die Quellen zum Beitrag finden Sie hier.

Über die Autorin:

Prof. Dr. med. Ursel Heudorf ist ehemalige stellvertretende Leiterin des Gesundheitsamtes Frankfurt am Main.

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