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Die Freiheit, Jude sein zu können. Ohne Wenn und Aber

Published On: 22. August 2021 19:29

Arye, ein junger Iraner, wächst im Berliner Wedding auf, einem muslimisch geprägten Stadtteil, in dem die Religionszugehörigkeit darüber entscheidet, ob man geachtet oder gehetzt wird. Und Arye ist Jude – Außenseiter, Feindbild. Stünde er nicht unter dem Schutz des Kopfs einer kriminellen Türkengang, müsste er um sein Leben fürchten. Von Nasrin Amirsedghi

Es ist kein Märchen, keine Fiktion, es ist die beklemmende Geschichte des Jungen mit dem Künstlernamen „ARON“, der Mitten in Deutschland in einem „Ghetto“ aufgewachsen ist, in dem „jeder Schritt raus aus der Wohnung ein Schritt in eine muslimische Welt war.“ Obwohl seine Eltern mit ihrer Auswanderung aus dem Iran in den 70er Jahren das Ziel gehabt hatten, ihm und seinen Geschwistern das Gefühl von Sicherheit zu geben und nicht in einem Ghetto aufzuwachsen, wie sie selbst im Norden des Iran in „Mahle“ (jüdisches Ghetto) in Babol aufwachsen mussten! Ironie des Schicksals?

Das ist die Geschichte von Arye Sharuz Shalicar, geboren 1977 in Göttingen als Sohn persischer Juden. Eine außergewöhnliche Biografie im Stil eines Entwicklungsromans, die gelesen werden sollte, um zu verstehen, wie es sich anfühlt, ein Jude zu sein. Nachempfinden, was es bedeutet, in der eigenen Haut fremd zu sein. Im Laufe der Zeit, vor allem nach dem Umzug von Spandau in den Wedding wird ihm bewusst: „Wenn du Jude bist, hasst dich die ganze Welt!“ Es ist der Kampf einer Ich-Findung. Ja, er ist Jude und er ist stolz darauf, aber das darf er nicht laut sagen!

Wenn das kein Antisemitismus ist, was ist das dann?

Der Nahostkonflikt spielt sich auf den Berliner Straßen ab. Die Schauplätze sind Wedding, Neukölln und Kreuzberg, wo sich „Ausländerghettos“ mit Türken, Arabern, Indern, Kurden, Bosniern gebildet haben, in dem die einzige Sprache, die nicht gesprochen wird, Deutsch ist. In einem dieser Ghettos, im Wedding ist der junge Arye zur Schule gegangen, gedemütigt, ausgegrenzt, ausgestoßen, gehasst und geprügelt. Weil er ein Jude ist, den man vorher, bevor er die schöne Kette mit dem Davidstern am Hals trug, mit „habibi“ (mein Lieber) ansprach. Synchronisierte Konflikte vom Nahen und Mittleren Osten: zwischen Arabern und Juden. Die Juden werden gehasst und bekämpft. Mitten in der Hauptstadt Deutschlands, in Berlin: Ein Schauspiel deutscher Realität!

In all diesen Leidenszeiten geht es Arye um seine Identität, darum sich zu finden, um die Frage: Wer bin ich: Bin ich, was ich bin, oder was mir die anderen zuschreiben? Es geht um Freundschaften, die zur Feindschaft werden. Wer ist er? Ist er ein Perser, ein Deutscher oder „ein echter Drecksjude“, ein „Jahudi“, den man „vergasen sollte“, oder ein Mensch, der einfach in Frieden mit anderen leben wollte, das Leben genießen, Spaß haben und Freundschaft suchte. Die endlose Suche nach Glück, Frieden, Zugehörigkeit, Akzeptanz und sich selbst auszuhalten, nährt die Sehnsucht auf Beantwortung der Fragen: Wer bin ich? Wo ist mein Zuhause?

Durch den Zwang vermeintlich identitätsstiftender Gruppendynamik veranlasst den Jungen sogar bei allen kriminellen Machenschaften mitzumachen: „Wände beschmieren“, „leicht etwas klauen“, dabei sein, wo „die nächsten Gruppenschlägereien stattfinden“ und schließlich im Gefängnis landen. Also sich kriminalisieren lassen, um nicht ausgegrenzt zu werden.

Das ist doch nicht alles! Er wird sowohl bei Arabern als auch bei Juden in Berlin nicht als „Mitglied der Gemeinschaft“ anerkannt und voll aufgenommen. Er ist überall und doch nirgendwo! Er durfte zum Beispiel trotz des Besitzes eines jüdischen Gemeindemitgliedsausweises sein Auto nicht auf den Besucherparkplatz der jüdischen Bibliothek parken. Warum? „Weil er ja ein unbekanntes Gesicht ist.“

Major Arye Shalicar im Interview

Nach dem Abitur, während des Wehrdienstes, wird ihm erst bewusst, dass er in Deutschland lebt. Denn bis dahin kannte er kaum Deutsche, die Stefan, Christian, Thomas, Andreas oder Markus heißen. Mit 23 beginnt er einen neuen Lebensabschnitt, wird den Wedding und die schmerzhafte Vergangenheit hinter sich lassen und seinen Frieden anderswo finden. Er geht „in ein jüdisches Land, in dem (er) frei ist, als ein Jude.“

Vielleicht kommt in absehbarer Zeit kein Frieden zwischen Arabern und Juden zustande, weder im Nahen Osten, noch in Deutschland oder wenigstens Berlin, aber Arye ist auf dem Weg seines Glücks. In Israel hat er Frieden mit sich gefunden und vielleicht wird er uns irgendwann einmal als Friedensbotschafter beglücken, „Elohim Gadol!“


Nasrin Amirsedghi (geboren 1957 im Iran) ist eine in Mainz lebende deutsche Publizistin, Philologin, Orientalistin, Literatur- und Filmwissenschaftlerin persischer Herkunft.


Arye Sharuz Shalicar, »Ein Nasser Hund ist besser als ein trockener Jude«. Die Geschichte eines Deutsch-Iraners, der Israeli wurde. dtv, 284 Seiten, 10,90 €.

Aryes Geschichte wurde verfilmt – Kinostart ist am 9. September 2021.


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