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Danke, Ronald Reagan!

Published On: 12. Juni 2022 14:00

Heute vor 35 Jahren hielt US-Präsident Reagan vor dem Brandenburger Tor eine sehr engagierte Rede und sprach einige zeitlos gültige Wahrheiten aus. Ist das alles schon vergessen? Eine persönliche Erinnerung.

Der 12. Juni 1987 war ein Freitag, ein schöner, warmer Frühsommertag. Geburtstagswetter wie bestellt. Das Geburtstagskind: „Bärlin“. 750 Jahre. Ich weiß noch genau, wo ich mich an diesem Tag aufhielt, welche Gedanken und Gefühle mich begleiteten – etwa, dass ich mich im Westen meines Landes vor staatlicher Willkür sicher fühlte und dankbar war, in Freiheit zu leben. Wie wenig selbstverständlich dies war, zeigte mir ein Blick in den anderen Teil Deutschlands. Ich erinnere mich ferner, dass etliche meiner Altersgenossen nie einen Gedanken daran verschwendet hatten und auch nicht sonderlich gut zu sprechen waren auf den Gratulanten, der Berlin heute vor 35 Jahren mit seinem Besuch beehrte. Nämlich auf Ronald Reagan.

Mir dagegen war der US-Präsident schon bei seinem Deutschland-Besuch im Mai 1985 durch seine überaus warmherzige Art, die er uns Deutschen entgegenbrachte, aufgefallen. Von vielen anderen Politkern hob er sich dadurch ab, dass er zum 40. Jahrestag des Kriegsendes den Opfern der nationalsozialistischen Diktatur und des Krieges mit echter Anteilnahme gedachte und die Verbrechen verurteilte, ohne jedoch dabei einer „deutschen Kollektivschuld“ das Wort zu reden – ein Vorwurf, der zu der Zeit verschiedentlich erneut aufflackerte. Reagan bedauerte dies ausdrücklich, und er erzählte den Deutschen die hierzulande kaum bekannte, aber sehr berührende und wahre Geschichte vom „Weihnachtswunder“. So war er, der Präsident. Statt ein ganzes Volk unterschiedslos unter Anklage zu stellen – was in anderen Fällen zu recht verurteilt wird –, reichte er den Deutschen die Hand. Dieser Auftritt Ronald Reagans wurde für mich zum Schlüsselerlebnis schlechthin, und die Geschichte, die er vortrug, treibt mir noch heute Tränen in die Augen.

Aber nicht nur das. Reagan machte den Deutschen schon 1985 Mut: „Europa wird vereint sein, wenn alle Deutschen frei sind.“ Er vergaß bei seinem Besuch des geschichtsträchtigen Hambacher Schlosses nicht, den Aufbau der Demokratie im Westen Deutschlands nach dem Krieg zu würdigen und an deutsche Leistungen zu erinnern, die die Welt bereichert hätten. Dabei griff er tief in die deutsche Geschichte und schlug einen Bogen auch zu jenen Deutschen, die sich später als Deutsch-Amerikaner verdient um die USA gemacht hätten. Wer so mit der deutschen Geschichte konfrontiert wird, auf positive Weise nämlich, dem eröffnen sich gänzliche andere Perspektiven auf ein Land, das sich viel zu häufig in Selbstverachtung verliert.

Gegengift gegen den Selbsthass der Deutschen

Schon damals erlebte ich Reagans Besuch als Besuch eines wirklichen, verständnisvollen Freundes der Deutschen. Als glaubwürdig empfand ich seine tiefe Überzeugung, die Teilung Deutschlands und Europas werde nicht das letzte Wort der Geschichte sein. Die unverkennbare Sympathie und Empathie des US-Präsidenten für Deutschland wirkte auf mich wie eine Art Gegengift und machte mich schon in jungen Jahren immun gegen den oft propagierten Selbsthass der Deutschen. Dafür bin ich dankbar.

Umso gespannter erwartete ich seinen Berlin-Besuch im Juni 1987, zum 750. Jubiläum dieser Stadt. Was wird er den Berlinern in ihrer geteilten Stadt, den Deutschen in ihrem geteilten Land und den Menschen in der Welt sagen? Und dies an einem so symbolträchtigen Ort direkt vor dem Brandenburger Tor, in Sichtweite der verhassten Berliner Mauer?

Im Vorfeld seines Besuchs hatte der amerikanische Präsident keinen Zweifel dran gelassen, dass er und sein Land weiterhin unverbrüchlich an der Seite der Berliner und der Deutschen stehen werden, und damit auch jener, die sich Freiheit und Selbstbestimmung aus dem Gefühl der Zusammengehörigkeit heraus auch für ihre Landsleute östlich der Mauer sehnlichst wünschten. Aus allen seinen Reden, die Reagan in Deutschland gehalten hatte, sprach stets ein sehr persönliches Engagement für ein ungeteiltes Deutschland und Berlin. Es waren nicht nur schöne Worte. Nein, viel wichtiger, er handelte danach. Schaut man sich um, wie oft in der Politik Worte und Taten auseinanderklaffen, darf das nicht als selbstverständlich angenommen werden.

So verfolgte ich also wie viele andere gebannt vor dem Fernseher seinen Auftritt vor dem Brandenburger Tor. Aus Reagans Rede sind mir vor allem Passagen mit unmittelbarem Deutschland-Bezug in recht präziser Erinnerung geblieben. Hier einige Auszüge [*]:

Mut und Entschlossenheit der West-Berliner

Nach seiner Anrede mit „Herr Bundeskanzler Kohl, Herr Regierender Bürgermeister Diepgen, meine Damen und Herren“, erinnerte Reagan sogleich an den Besuch des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy in der geteilten Stadt am 26. Juni 1963 und an seine Rede vor dem Schöneberger Rathaus.

Anschließend wurde er persönlich:

„Wir amerikanischen Präsidenten kommen nach Berlin, weil wir gerade an diesem Ort von der Freiheit sprechen sollten. Aber ich muß gestehen, daß es auch noch andere Dinge gibt, die uns hierhergeführt haben: Das Gefühl für die Geschichte dieser Stadt, die mehr als 500 Jahre älter ist als unsere eigene Nation. Die Schönheit des Grunewalds und des Tiergartens. Am meisten aber Ihr Mut und Ihre Entschlossenheit.“

Kenntnisreich fuhr er fort:

„Vielleicht hat der Komponist Paul Lincke die amerikanischen Präsidenten richtig eingeschätzt. Wissen Sie, ich komme heute hierher, wie so viele Präsidenten vor mir, weil, wo ich auch hingehe, und was ich auch tue: ‚Ich hab‘ noch einen Koffer in Berlin!‘“

Es gibt nur ein Berlin!

Sodann schlug er eine Brücke zu seinen Zuhörern im Ostteil der Stadt:

„Unsere heutige Veranstaltung wird in ganz Westeuropa und Nordamerika ausgestrahlt. Ich denke, daß sie auch im Ostblock zu hören und zu sehen sein wird. Ich möchte auch den Zuhörern in Osteuropa meine herzlichsten Grüße und die besten Wünsche des amerikanischen Volkes aussprechen. Denen, die in Ost-Berlin zuhören, gebühren einige besondere Worte. Obwohl ich nicht bei Ihnen sein kann, richtet sich meine Ansprache selbstverständlich ebenso an Sie wie an meine unmittelbaren Zuhörer. Ich stehe genauso zu Ihnen wie zu Ihren Landsleuten im Westen, in dem festen, unerschütterlichen Glauben: Es gibt nur ein Berlin.“

Nun brachte Reagan die menschenverachtende Realität der Teilung deutlich zur Sprache:

„Hinter mir steht eine Mauer, die die freien Sektoren dieser Stadt umschließt, ein Teil der massiven Schranken, die den gesamten Kontinent Europa spalten. Südlich der Ostsee schneiden diese Schranken durch Deutschland hindurch einen Riß aus Stacheldraht, Beton, Hundelaufanlagen und Wachttürmen. Weiter im Süden mag es keine sichtbare, augenfällige Mauer geben. Es bleiben aber trotzdem noch die bewaffneten Wachposten und Kontrolltürme – immer noch eine Einschränkung der Freizügigkeit, immer noch ein Instrument, Menschen den Willen eines totalitären Staates aufzuzwingen.“

Die deutsche Frage ist so lange offen, wie das Brandenburger Tor zu ist

„Es ist jedoch gerade in Berlin“, fuhr der Präsident voller Anteilnahme fort, „wo die Mauer am sichtbarsten aufragt; sie spaltet die Stadt genau an der Stelle, wo Zeitungsfotos und Fernsehschirme diese brutale Teilung eines Kontinents für das Bewußtsein der Welt festhalten. Jeder Deutsche, der vor dem Brandenburger Tor steht, ist ein Mensch, der von seinen Landsleuten getrennt ist. Jeder dieser Menschen ist ein Berliner, der gezwungen ist, diese sichtbare Wunde zu ertragen.“

Reagan erinnerte an einen Ausspruch des damaligen Bundespräsidenten:

„Präsident von Weizsäcker hat einmal gesagt: Die deutsche Frage ist so lange offen, wie das Brandenburger Tor zu ist. Heute sage ich: Solange das Tor zu ist, solange wird diese Mauer als Wunde fortbestehen; es ist nicht die deutsche Frage allein, die offen bleibt, sondern die Frage der Freiheit für die gesamte Menschheit.“

Kann man mit mehr Warmherzigkeit, Empathie und Feingefühl auf das Schicksal der ganz unmittelbar von der Teilung ihres Landes betroffenen Gastgeber, der Deutschen, eingehen? Doch Reagan wäre nicht Reagan gewesen, wenn er seinen Zuhörern nicht zugleich hoffnungsvolle Sätze mitgegeben hätte:

„Ich komme jedoch nicht hierher, um zu klagen. Denn ich erkenne in Berlin ein Signal der Hoffnung – im Schatten dieser Mauer sogar ein Signal des Triumphes. Im Frühjahr 1945, als die Berliner aus ihren Luftschutzbunkern heraustraten, fanden sie Verwüstung vor. Tausende von Kilometern entfernt bot das Volk der Vereinigten Staaten seine Hilfe an; und im Jahr 1947 verkündete Außenminister Georg Marshall die Schaffung dessen, was als Marschall-Plan bekannt werden sollte. In diesem Monat vor genau vierzig Jahren erklärte er: ‚Unsere Politik richtet sich nicht gegen irgendein Land oder irgendeine Doktrin, sondern gegen Hunger, Armut, Verzweiflung und Chaos.‘“

Eine starke und freie Welt

Und er fuhr fort: „Gerade sah ich im Reichstag eine Tafel, die an diesen 40. Jahrestag des Marshall-Plans erinnerte. […] Ich weiß, daß Berliner meiner Generation sich daran erinnern können, solche Schilder im gesamten Westsektor der Stadt gesehen zu haben. Auf dem Schild steht ganz einfach: ‚Hier hilft der Marshallplan. Zur Stärkung der freien Welt.‘“ Reagan hob hervor: „Eine starke und freie Welt – im Westen ist dieser Traum Wirklichkeit geworden.“ Nahezu jede Nation Westeuropas habe eine politische und wirtschaftliche Wiedergeburt erlebt, und die Europäische Gemeinschaft wurde gegründet, sagte Reagan.

Schließlich lobte er die Deutschen: „Im Westen Deutschlands und hier in Berlin wurden Wunder vollbracht, das ‚Wirtschaftswunder‘ fand statt.“ Er erinnerte an Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Ernst Reuter und andere deutsche Politiker, die um die praktische Bedeutung der Freiheit gewusst hätten – „daß nur, wenn dem Journalisten Redefreiheit eingeräumt wird, die Wahrheit gedeihen kann, nur wenn Landwirte und Geschäftsleute wirtschaftliche Freiheit genießen, kann Wohlstand entstehen“. Schließlich gab Reagan seiner Bewunderung für das westliche Berlin Ausdruck: „Aus der Zerstörung – aus bloßen Ruinen – haben Sie, die Berliner, in Freiheit eine Stadt wiederaufgebaut, die wiederum als eine der großartigsten der Welt einzuordnen ist. Die Sowjets mögen andere Pläne gehabt haben. Aber, meine Freunde, es gab einige Dinge, die die Sowjets nicht berücksichtigten: Berliner Herz, Berliner Humor und Berliner Schnauze.“

Nur Freiheit führt zu Wohlstand

Man fragt sich beim Lesen dieser Zeilen unwillkürlich: Ist das alles wirklich schon vergessen? Reagan sprach noch weitere, heute verdrängte Wahrheiten aus:

„In den fünfziger Jahren prophezeite Chruschtschow: ‚Wir werden euch begraben‘. Heute aber erblicken wir im Westen eine freie Welt, die ein Niveau an Wohlstand und Wohlergehen erlangt hat, die in der Geschichte ihresgleichen suchen. Die kommunistische Welt leidet unter Fehlschlägen, technologischer Rückständigkeit, einer Verschlechterung des allgemeinen Gesundheitszustandes. Sogar eines der wichtigsten Grundbedürfnisse wird nicht befriedigt – Lebensmittel.“

Der Präsident: „Nach vier Jahrzehnten ist nun für die gesamte Welt klar: Freiheit führt zu Wohlstand. Freiheit ersetzt den Völkerhaß durch Einvernehmen und Frieden. Freiheit siegt.“ Den Sowjets aber werde jetzt auch allmählich die Bedeutung der Freiheit klar. Reagan nannte einige zaghafte Signale der Öffnung, stellte die Frage, ob dies Anfänge tiefgreifender Veränderungen im Sowjetstaat oder Scheingesten seien, die im Westen falsche Hoffnungen wecken oder die das sowjetische System festigen sollen, ohne es zu verändern? Doch er befand: „Wir sind der Ansicht, daß Freiheit und Sicherheit zusammengehen – daß das Vorrücken der Menschenrechte die Sache des Friedens nur vorantreiben kann. Die Sowjets würden damit ein unmißverständliches Zeichen setzen, das die Sache von Freiheit und Frieden dramatisch vorantreiben würde.“

„Öffnen Sie dieses Tor! Reißen Sie diese Mauer nieder!“

Nun sprach er jene Schlüsselsätze, für die ihm die Deutschen dankbar sein sollten, erst recht, wo sie im November 1989 ihrer unbändigen Freude über den Zusammenbruch der Mauer auf eine Weise Ausdruck gaben, mit der sie die ganze Welt begeistert und verzaubert hatten:

„Generalsekretär Gorbatschow, wenn Sie nach Frieden streben – wenn Sie Wohlstand für die Sowjetunion und für Osteuropa wünschen – wenn Sie die Liberalisierung wollen, dann kommen Sie hierher zu diesem Tor. Herr Gorbatschow, öffnen Sie dieses Tor. Herr Gorbatschow, reißen Sie diese Mauer nieder.“

Reagan fuhr fort:

„Ich weiß um die Angst vor einem Krieg und das Leid der Teilung, die diesen Kontinent heimsuchen – und ich verbürge mich für die Bemühungen meines Landes zur Überwindung dieser Bürde. Freilich bleibt es weiterhin notwendig, uns der sowjetischen Expansion zu widersetzen. Das heiß, wir im Westen müssen eine starke Verteidigung aufrechterhalten. Dennoch streben wir nach Frieden. Deshalb werden wir darum ringen, die Waffen auf beiden Seiten zu reduzieren.“

An dieser Stelle rief Reagan ins Gedächtnis, dass die Sowjetunion zehn Jahre zuvor begann, das gesamte westliche Europa mit den Nuklearraketen SS-20 zu bedrohen und herauszufordern. Aber die NATO stand fest zusammen und antwortete mit dem NATO-Doppelbeschluss. Als das Bündnis sich darauf vorbereitete, die Gegenstationierung fortzuführen, so Reagan, kehrten die Sowjets an den Verhandlungstisch zurück. Er stellte klar:

„Weil wir stark blieben, sind die Sowjets an den Verhandlungstisch zurückgekehrt. Weil wir stark geblieben sind, besteht heute die Möglichkeit, nicht nur die Zunahme der Waffen einzuschränken, sondern zum ersten Mal eine gesamte Klasse nuklearer Waffen von der Erdoberfläche zu beseitigen.“

Er verbürgte sich für die Aufrechterhaltung der Fähigkeit zur Abschreckung einer möglichen sowjetischen Aggression. Er mahnte, nicht zu vergessen:

„Ost und West mißtrauen sich nicht, weil wir bewaffnet sind. Wir sind vielmehr bewaffnet, weil wir einander mißtrauen. Und unsere Differenzen beziehen sich nicht auf Waffen, sondern auf Weltanschauung.“

Eine Liebeserklärung an Berlin

Zum freien Berlin sagte Reagan: „Die Idee dieser Freiheit verwandelt die Erde.“ Er erinnerte daran, „in Europa verweigert nur eine Nation den Beitritt zur freien Welt. Der Weg ist auch anderen Ostblockstaaten versperrt …“ Reagan zur Sowjetunion: „Sie muß grundlegende Veränderungen vornehmen oder sie wird sich überleben.“ Er plädierte leidenschaftlich dafür, die Schranken niederzureißen, die die Menschen trennten, um eine sicherere und freiere Welt zu schaffen. Dafür gebe es keinen geeigneteren Ort als Berlin, um damit anzufangen. Er schlug vor, die Ost-und Westteile der Stadt enger zusammenzubringen, Berlin zu öffnen und die Stadt zum Austragungsort der olympischen Spiele zu machen: „Alle Bewohner der gesamten Stadt Berlin sollen die Vorzüge genießen, die das Leben in einer der größten Städte der Welt mit sich bringt.“

Unverkennbar wurde schließlich, wie sehr das 750 Jahre alte Berlin den Präsidenten fasziniert hatte: „Wie ich bereits erwähnt habe, haben Sie, die Berliner, in diesen vier Jahrzehnten eine großartige Stadt wiederaufgebaut. Sie haben das trotz vieler Bedrohungen getan […].“ Reagan: „Trotz der Herausforderungen durch die Mauer blüht diese Stadt heute.“ Er fragte: „Was hält Sie hier?“ Seine Antwort ist eine einzige Liebeserklärung an die durch die aufgezwungene Teilung so geschundene Stadt:

„Sicherlich läßt sich viel über Ihre Stärke und Ihre Entschlossenheit sagen. Aber ich glaube, dahinter steht noch etwas anderes. Der gesamten Charakter Berlins, sein Lebensgefühl und seine Lebensart. Nicht nur Idealismus – niemand könnte lange in Berlin leben, ohne seiner Illusionen völlig beraubt zu werden. Sie haben die Schwierigkeiten des Lebens in Berlin erkannt, aber dennoch die Entscheidung getroffen, sie zu akzeptieren. Dadurch wird diese großartige und stolze Stadt ständig weiterentwickelt“, meinte Reagan.

Und er bekräftigte seine Faszination für das westliche Berlin noch einmal:

„Welch ein Gegensatz zu einer totalitären Umgebung, die keine menschlichen Kräfte oder Hoffnungen freisetzt. Sie sprechen mit einer mächtigen Stimme der Zustimmung – die diese Stadt und ihre Zukunft bejaht, ein ‚Ja‘ zu Freiheit. Das heißt, was sie in Berlin hält, ist die Liebe – eine tiefe und aufrichtige Liebe.“

Die „Rache Christi“

„Hier“, so Reagan, „treffen wir den Kern der Sache, den grundlegendsten Unterschied zwischen Ost und West. Die totalitäre Welt bringt Rückständigkeit hervor, weil sie dem Geist Gewalt antut, dem menschlichen Drang zuwiderläuft, zu schaffen, zu genießen und zu verehren. In einer totalitären Welt“, so Reagan weiter, „stellen sogar Symbole der Liebe und des Glaubens eine Herausforderung dar“. Damit kam er auf die „Rache Christi“ zu sprechen:

„Bevor die Ost-Berliner ihre Kirchen wiederaufbauten, haben sie ein weltliches Monument errichtet, das diese Stadt dominiert – den Fernsehturm am Alexanderplatz. Seither haben die Behörden daran gearbeitet, um das zu korrigieren, was sie als wesentlichsten Mangel des Turms ansahen; sie behandelten den oberen Glasbereich mit verschiedenen Farben und Chemikalien. Dennoch erstrahlt dieser Bereich – der sich über das gesamte Berlin erhebt – auch heute noch bei Sonneneinfall im Zeichen des Kreuzes. Dort in Berlin können Symbole der Liebe und des Glaubens genauso wie die Stadt selbst nicht unterdrückt werden.“

Diese Mauer wird fallen

Reagan hatte während seines Aufenthalts in Berlin auch den Reichstag besucht und von einem Balkonfenster aus einen Blick auf die Mauer geworfen. Daran erinnerte er ganz zum Schluss seiner Rede:

„Als ich gerade aus dem Reichstag blickte – dieser Verkörperung der deutschen Einheit – fielen mir diese an die Mauer gesprühten Worte auf, die vielleicht von einem jungen Berliner stammen und eine Antwort auf die deutsche Frage darstellen: ‚Diese Mauer wird fallen. Glaube wird Wirklichkeit.‘“

„Ja“, setzte Reagan mit prophetischer Weitsicht an, „quer durch Europa wird die Mauer fallen. Denn sie kann dem Glauben nicht standhalten. Sie kann der Wahrheit nicht standhalten. Die Mauer wird der Freiheit nicht standhalten können. Vielen Dank.“

Überschattet wurde Reagans Besuch von brutalen Polizeieinsätzen im Ostteil der Stadt gegen junge Leute, die ein Rockkonzert hören wollten und die gegen die Mauer protestierten. Im Westteil kam es zu schweren Krawallen, Demonstranten brüllten „Reagan raus!“ Die WELT dazu in ihrem Kommentar am Folgetag:

„Schmerzhafte Wirklichkeit im 750. Jahr dieser Stadt. Ein Gast kam zum Geburtstag als ein Botschafter der Freiheit, und ein paar tausend, die nur für sich sprachen und nicht für Berlin, wollten ihn aussperren. Wer so redet, sperrt nicht nur einen Mann, er sperrt die Freiheit aus. Denn dieser Mann ist nicht als Ronald Reagan nach Berlin gekommen, sondern als Repräsentant einer Nation, die unserem Land und Berlin unendlich wichtige Hilfe geleistet hat und jene Freiheit garantiert, die es diesen Demonstranten erlaubt, durch diese Stadt zu lärmen. Wer diesen Mann beschimpft, beschimpft die Nation, die er vertritt.“

Dank an Reagans Warmherzigkeit

Berlin hat sich übrigens 2019 posthum noch einmal auf seine ganz eigene Weise für Reagans herzliche und aufrichtige Anteilnahme am Schicksal der so lange gebeutelten Stadt „bedankt“. Ganz anders der Axel-Springer-Verlag: siehe hier. Die FR wiederum räsonierte heute vor zehn Jahren vor allem darüber, Reagan hätte mit seinen Aussagen die Sowjetunion gezielt provozieren wollen und zitierte als „Beweis“ damaligen amerikanischen Gesandten von Berlin, John C. Kornblum: „Wir wollten Drama.“

Herr Kornblum, meinen Einwand an dieser Stelle mögen Sie mir verzeihen: Die Lage im geteilten Deutschland, an Mauer und Stacheldraht, war dramatisch. Sie hatte noch 1989 Todesopfer gefordert, nur weil Deutsche, die das Pech hatten, sich auf der falschen Seite der Mauer zu wähnen, frei sein wollten. Da gab es nichts zu dramatisieren. Viel schlimmer war, dass andere das Schicksal dieser Menschen und ihre Verzweiflung nicht selten bagatellisiert haben; dass sie die sowjetische Verantwortung kleinredeten oder gar leugneten. Reagan aber hatte genau dies nicht getan. Das rechne ich ihm hoch an. Und ich werde dem Präsidenten nicht vergessen, dass er seinem Mitgefühl mit uns Deutschen auf eine sehr berührende und warmherzige Weise Ausdruck verliehen hatte, wie ich es nur selten erlebt habe. Thanks, „Ronnie“!

Quelle der Zitate aus Ronald Reagans Rede in Berlin:

[*] Amerika-Dienst – Sonderdienst – der US-Botschaft in Bonn v. 15.06.1987: „Berliner Mauer niederreißen für die Sache des Friedens – Ansprache Präsident Reagans vor dem Brandenburger Tor“ am 12. Juni 1987

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