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Das Feindbild USA und die Nato

Published On: 22. Juni 2022 14:04

Tomas Spahns sechster Teil seiner Antworten auf Leserkommentare zum Themenkreis Russland und Ukraine. – Die Kriege der USA unterscheiden sich von Russlands Expansionspolitik gravierend: Nach 1918 hat kein US-amerikanischer Feldzug zu einer dauerhaften, territorialen Ausdehnung des Landes geführt.

IMAGO / ITAR-TASS

Joe Biden und Wladimir Putin in Genf

Hinter den meisten Kommentierungen und Positionierungen gegen die Ukraine steht neben den traditionalistischen Sympathien für Russland und dessen Führer unübersehbar eine tiefwurzelnde Ablehnung, ja Verachtung gegenüber den USA. Hier summt Putins eurasische Vision gleich einer klassischen Radio-Röhre kaum hörbar aber konstant im Hintergrund – auch noch nach dem Überfall auf die Ukraine.

Die imperialen USA

Selbstverständlich: Auch die Vereinigten Staaten von Amerika sind keine Engel, waren es nie. Sie haben nicht nur militärische Aktionen durchgeführt, die völkerrechtlich fragwürdig waren. Auch die USA haben Kriege geführt, um ihre Interessen zu sichern. Und doch gibt es zu Russlands Expansionspolitik einen gravierenden Unterschied: Nach 1918 hat kein US-amerikanischer Feldzug zu einer dauerhaften, territorialen Ausdehnung des Landes geführt. Spricht Putin bei seinen Annexionen gegen die Ukraine von einer „militärischen Spezialoperation“, so scheint dieser Ausdruck, wenn überhaupt, eher auf jene US-Einsätze in Kuwait, Irak, Afghanistan, Syrien zuzutreffen.

Auch wenn die Ergebnisse so gut wie nie dem Ziel entsprachen: Die USA strebten mit ihren Militäreinsätzen in der Regel die Überwindung autoritärer Regimes an. Das dabei auch wirtschaftliche Interessen eine Rolle gespielt haben mögen, liegt auf der Hand. Die Tatsache, dass die Hoffnung, eine Diktatur durch eine Demokratie ersetzen zu können, dennoch so gut wie immer gescheitert ist, ist einem klassischen Manko US-amerikanischer Außenpolitik geschuldet. Amerikaner sind nur selten in der Lage, die Welt anders denn als Amerikaner zu verstehen. Zwar eint sie das insofern mit Putin, als auch der die Welt nur aus seiner Brille betrachten kann – doch es hilft ebenso wenig die Vorstellung, eine junge Demokratie nach eigenen Systemvorstellungen in eine Vasallen-Autokratie wandeln zu wollen, wie die Vorstellung utopisch ist, eine Kultur mit patriarchalisch-autoritären Glaubenssätzen nur durch die Entfernung der gegenwärtigen Autoritäten in eine Demokratie nach westlichem Vorbild wandeln zu können.

Russland und die USA sind nicht vergleichbar

Gleichwohl und unabhängig von scheinbaren Parallelitäten in der Außenpolitik sind die USA und die Russische Föderation nicht vergleichbar. Die US-Verfassung hat ein Staatsmodell geschaffen, das durch Checks-and-Balances bislang immer noch in der Lage gewesen ist, Fehlentwicklungen aus sich selbst heraus zu korrigieren.

Seit der Gründung gab es in den Vereinigten Staaten keine politische Revolution, die ein an die Wand gefahrenes System gewaltsam wegfegen musste. Es gab lediglich in einer frühen Phase den Versuch einiger Unionsstaaten, das gemeinsame Dach zu verlassen.

Der fälschlich als „Bürgerkrieg“ bezeichnete Konflikt, der auf diesen Versuch folgte, war nicht revolutionär, sondern imperial-unionistisch versus föderal-souveränistisch. Das Ergebnis war eine imperialistische, demokratische Republik, am ehesten noch zu vergleichen mit dem antiken Rom vor der Einführung des Caesarentums unter Octavian-Augustus, aber aufgrund einer gleichzeitig als Unionsebene horizontal und im Verhältnis der Unionsstaaten untereinander und zur Union vertikal sortierten Machtverteilung nicht gekennzeichnet durch die Permanenz des römischen Bürgerkriegs, auch wenn manche Entwicklungen der jüngeren Zeit diese Gefahr zu beschwören scheinen.

Der neorussische Napoleonismus

Imperien agieren imperial. Das gilt auch dann, wenn sie das demokratisch verankerte Führungsprinzip über Wahlen und Amtszeitbegrenzungen vor dem fließenden Übergang in den totalitären Führerstaat abzusichern suchen. Es ist dieses der entscheidende Unterschied zwischen den Herrschaftsmodellen der USA und des postsowjetischen Russlands. Boris Jelzin, nach der kurzen Kerenski-Zwischenphase des Jahres 1917 der einzige führende Politiker Russlands, der eine demokratisch organisierte, russische Republik anstrebte, versuchte die revolutionäre Russische Föderation durch die Übernahme des US-Prinzips gegen die Gefahr eines neorussischen Napoleonismus abzusichern.

Ukraine und Russland – Teil 2

Spätestens als Jelzins Nachfolger Putin nach zwei präsidialen Amtszeiten im Jahr 2008 die Rochade zwischen ihm selbst und seinem Getreuen Medwedew organisierte, hätte jedem Bobachter klar sein müssen, dass der Leningrader den demokratie-erhaltenden Sicherheitsmechanismus seines Vorgängers erfolgreich auszuhebeln suchte. Russlands postrevolutionärer Napoleon hatte die Republik übernommen, ohne sich jedoch den progressiven Reformeifer des Franzosen zu eigen zu machen. Ein „Code civil des Français“, die Grundlage eines jeden neuzeitlichen Rechtsstaats, war und ist von einem Wladimir Putin nicht zu erwarten. Der Leningrader verharrte stattdessen fast schon unvermeidbar in der orthodoxen Unbeweglichkeit, die Russlands Entwicklung seit Generationen hemmt. Seine Staatsdoktrin beruht auf hemmungsloser Ressourcenausbeutung, Militärmacht und autoritärer Unterdrückung von Widerständen.

Die entscheidende Säule des US-amerikanischen Imperiums, jenes System der Checks-and-Balances, bei dem die staatlichen Institutionen derart aufgestellt sind, dass sie sich gegenseitig kontrollieren und in Schach halten können, hatte im postsowjetischen Russland Putins niemals eine Chance, weil letztlich auch der erfolgreiche Abwehrkampf Jelzins gegen die Sowjet-Restauratoren nicht aus einem nach Mitbestimmung lechzenden Volk heraus operierte, sondern diesem ein unfertiges, anfälliges Politikmodell überstülpte, welches in Russland ohne traditionelle Verankerung über den Massen schwebte.

Putin, der noch 2001 von Demokratie und Recht erzählte, hatte dieses schnell erkannt – und er bediente wie einst Napoleon die Seele des in den Irrungen und Wirrungen einer chaotischen Demokratisierung und ungeordneten Entstaatlichung der Wirtschaft versinkenden, einfachen Menschen mit der Attitüde des starken und durchsetzungsfähigen Führers, der ein durch revolutionäres Chaos in den Abgrund getriebenes und seinen äußeren Feinden ausgeliefertes Altreich zu neuer, alter Größe führen konnte.

Führerstaat statt demokratische Republik

Unbeantwortet bleiben muss die Frage, ob Putins Agenda seit dem ersten Tag seiner Machtübernahme feststand. Dagegen sprechen die Bekenntnisse aus der Bundestagsrede. Es sei denn, auch diese wären nichts anderes als perfekte Mimikri gewesen, um einen potentiellen Konkurrenten zu manipulieren und in die Abhängigkeit zu manövrieren.

Demokratie als Camouflage?

Es ist durchaus vorstellbar: Putins Denken als Geheimdienstler gebot es ihm, sich dem Feind, den er in den politischen und gesellschaftlichen Vorstellungen des westeuropäischen Kulturkreises erblickte, als „lupenreiner Demokrat“, so die Formulierung seines deutschen Mitwirkenden, anzudienen, solange er davon ausging, dass russische, „von außen“ gelenkte Kräfte ihn ohne allzu großen Aufwand aus seinem Präsidialamt verdrängen konnten.

So konnte er ohne relevante Einmischung von außen seine innere Position durch die Beseitigung der Opposition ausbauen, während er gleichzeitig den Gegner mit dessen Instrumenten der Marktwirtschaft beharrlich in seine Abhängigkeit manövrierte, bis er sich kräftig genug wähnte, auf entsprechende Mimikri und Rücksichten verzichten zu können.

Statt das chaotische und unvollständige Demokratisierungswerk seines Vorgängers in dessen Sinne nach dem US-Modell der „checks-and-balances“ zukunftsfähig zu machen, drehte Putin Pendelschlag für Pendelschlag die Zeituhr zurück: Die Reanimation der sozialistischen Wirtschaft in der Version eines staatsgesteuerten und staatsabhängigen Oligarchentums; dieses wiederum stehend auf den Säulen des korrupten Nepotismus als „slawisch-orthodoxe Krankheit“ seit Byzanz; dann die schrittweise Rehabilitierung des größten Massenmörders der russischen Geschichte als Leitmotiv für eine auf Kontrolle und Unterwerfung beruhenden, inneren politischen Ordnung; zuletzt die Ersetzung der pränationalistisch-imperialen Vielvölkerstaatsidee des zaristischen Panslawismus durch eine nationalfaschistische Blut- und Bodenphilosophie eines mit göttlichem Auftrag versehenen Allrusslandanspruchs; dieser wiederum getragen von der Vorstellung des russischen Herrenmenschen mit natürlichem Überordnungsanspruch über die nicht-russischen oder sich Russland verweigernden Nationen von Portugal bis Alaska als Legitimation neo-kolonialer, imperialer Machtexpansion.

Denkbar ist es, dass Putin Ingewahrsamnahme der Macht nach diesem Kalkül ablief.

Denkbar ist allerdings auch, dass 2001 tatsächlich ein „lupenreiner Demokrat“ vor den Deutschen Bundestag getreten war – ein Demokrat allerdings, um dessen moralische Festigkeit es bereits zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich gut bestellt war. Denn nur sieben Jahre später schien von dem weltoffenen Demokraten wenig übrig geblieben zu sein. Hinsichtlich der Überlegungen der Ukraine drohte er, dass dieses Land eher von der Landkarte verschwinden würde, als Mitglied des westlichen Verteidigungsbündnisses zu werden. Der polnischen Regierung soll er seinerzeit angeboten haben, die Ukraine zwischen Russland und Polen aufzuteilen – gleichsam eine Wiederholung des Ribbentrop-Molotow-Abkommens zu Lasten der mittelosteuropäischen Staaten.

Ist es denkbar, dass sich ein Mensch innerhalb nicht einmal einer Dekade um 180 Grad wendet? Vorstellbar ist immerhin, dass Putin nach zwei Perioden als Präsident in einem Maße desillusioniert gewesen ist, welches eine solche Wende erklärlich erscheinen lässt.

Statt, wie von ihm 2001 erhofft, enger in die NATO eingebunden zu sein, hatte sich die NATO von ihm inhaltlich entfernt und sich im räumlich genähert. Die Schuld daran fand Putin nicht darin, dass das Auftreten „seiner“ russischen Föderation zunehmend mehr von alten Hegemonialallüren geprägt wurde, sondern in einer aus seiner Sicht aggressiven Politik der USA und ihrer Vasallen.

Das Konzept eines deutsch-russisch geführten Eurasien war ebenfalls nicht einen Schritt vorangekommen. Statt durch diesen Schulterschluss, den er 2001 den Deutschen angetragen hatte, einen weltpolitischen Gegenpol gegen die USA und China zu schaffen, verharrte die BRD fest an der Seite des mächtigen Partners auf der anderen Seite des Atlantik. Putin musste seine Ambitionen zu Grabe tragen, sich stattdessen mit dem Versuch begnügen, der Europäischen Union eine auf einige Ex-Sowjetrepubliken eingedampfte Eurasische Wirtschaftsunion einzurichten, deren Bedeutung jedoch marginal bleiben sollte.

Es ist möglich, dass sich Putin 2008 bereits das Scheitern seiner hochtrabenden Pläne des Jahres 2001 eingestehen musste. In diesem Falle folgte sein Handeln dem klassischen Ablauf eines in seiner Emotionalität Zurückgestoßenen: Liebe wird zu Hass, Kooperationswille zur Destruktivität.

Sollte es so sein, dann wäre dadurch jedoch nur eine Komponente der psychischen Struktur des Wladimir Putin berührt gewesen. Und sehr wahrscheinlich, dass es so ist, ist es dann eben doch nicht. Denn auch wenn ungesteuerte, emotionale Ausbrüche des Menschen Putin in Situationen dokumentiert sind, in denen etwas nicht nach seinen Vorstellungen geschieht, so belegt doch seine bereits im Vorgehen gegen Tschetschenien gezeigte, bedenkenlose Bereitschaft, als Oberbefehlshaber zum Massenmörder an unbeteiligten Menschen zu werden, die Qualitäten eines Soziopathen. Hier wirkt er wie jener Harry Lime, der als „der dritte Mann“ seinen Jugendfreund Holy Martins vom Riesenrad im Wiener Prater auf die Menschen blicken lässt und ihn fragt, welche Bedeutung es hätte, wenn von diesen Punkten einige für immer verschwänden.

Für Putin rechtfertigt das Ziel jedes Mittel. Er scheint unfähig, sich emotional in andere Menschen hineinzudenken. Seine Kommunikation läuft ausschließlich in eine Richtung: Von ihm zum anderen. Eine Rückantwort ist nicht vorgesehen und sollte sie dennoch erfolgen, ist sie für Putin bedeutungslos.

Putins Stringenz der Macht konnte nicht übersehen werden

Gegen die Vorstellung, in Putin einen enttäuschten, frustrierten Demokraten zu erkennen, der sich zu einem psychopathischen, unberechenbaren Tyrannen wandelt, spricht zudem die Stringenz, mit der Putin seine Macht ausgebaut hat. Nichts daran wirkt spontan und improvisiert, alles hingegen, als ob es einem perfekt orchestrierten Masterplan gefolgt ist. Dabei ist stets er es, der die Regeln bestimmt und den anderen Akteuren aufzwingt.

Russland und die USA sind nicht vergleichbar

Wenn selbst ein intellektueller und weitsichtiger Mann wie der frühere Bürgermeister Hamburgs, Klaus von Dohnanyi, auch nach dem russischen Überfall die „Schuld“ am „Ukraine-Krieg“ bei den USA erblickt und dort wiederum darin, dass sie dem Schutzbedürfnis ehemaliger Sowjet-Kolonien und Vasallenstaaten durch die Aufnahme in ein Verteidigungsbündnis entsprochen haben, dann belegt dieses nicht zuletzt das deutsche Missverständnis infolge der Bundestagsrede. Und es verkennt die paranoide Logik, mit der der Ex-KGB-Mann im Kreml den inneren Um- und Rückbau des von ihm übernommenen, immer noch flächengrößten Landes des Planeten betrieben hatte.

Die NATO war nie eine offensive Bedrohung

Dabei war die von Putin beklagte, angebliche Bedrohung durch das Näherrücken der NATO niemals die reale Befürchtung, das Verteidigungsbündnis könne tatsächlich über Russland herfallen – hätte die NATO dergleichen jemals vorgehabt, so wären die chaotischen Neunziger dafür der ideale und einzig erfolgversprechende Zeitraum gewesen. Die vorgebliche Bedrohung Russlands bestand stets ausschließlich darin, dass durch den NATO-Beitritt ehemaliger Sowjetrepubliken und Sowjet-Satellitenstaaten deren angestrebte Rückeroberung und Eingliederung in Putins Großrussisches Reich erheblich erschwert, wenn nicht verunmöglicht wurde.

Flankiert wurde diese Scheinbedrohung der Russischen Föderation durch die reale Bedrohung des Putin’schen Herrschaftsmodells, wenn unmittelbar vor den Toren Russlands wirtschaftlich erfolgreiche, parlamentarische Demokratien die Fragwürdigkeit des putinschen Autokratismus dokumentierten. So diente auch die de-facto-Übernahme von Belarus angesichts der dort aufgrund offenkundiger Wahlfälschung ausgebrochenen Bürgeraufstände sowohl der Verhinderung des Entstehens eines weiteren, potentiellen NATO-Mitglieds, als auch der gnadenlosen Unterdrückung von Bürgerprotesten, die in Putins Dresdner Erfahrung ein autokratisches System wie ein Kartenaus in sich zusammenfallen lassen konnten.

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