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Keine Macht für niemand

Published On: 20. September 2022 0:04

Veröffentlicht am 20. September 2022 von RL.

Es ist ein unverkennbares Zeichen unserer Zeit, dass die Machtkonzentration zunimmt und sich zu Lasten des Bürgers immer mehr autoritäre Tendenzen bemerkbar machen: Diffamierung statt Debatten, mehr Überwachung und Kontrolle, Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit und private Lebensführung, die Vereinigung von öffentlichen und privaten Agenden, Einheitsparteien-Denken und die angebliche Alternativlosigkeit der aktuellen Politik.

Diese Entwicklung ist nicht gänzlich neu, aber sie hat sich zuletzt verschärft. Für Deutschland hatte der Philosoph Karl Jaspers schon 1966 in seinem Buch «Wohin treibt die Bundesrepublik?» ähnliche Probleme diagnostiziert.

Machtkonzentration ist ein Krisenphänomen

Jedes System hat seine Lebensdauer. Diese Erkenntnis hatte schon der antike Historiker Polybios. Er entwickelte eine Lehre vom Verfassungskreislauf. Alle Herrschaftsformen entarten demnach irgendwann. Die Monarchie wird zur Tyrannis. Die Aristokratie wird zur Oligarchie. Die Demokratie verwandelt sich in eine Pöbelherrschaft. Danach fängt es wieder mit der Einzelherrschaft an. Aufstieg, Zenit, Abstieg, Degenerierung und dann das gleiche Spiel noch einmal. Wäre es nicht langsam an der Zeit, aus diesem Teufelskreis auszubrechen, für den letztlich immer der Bürger die Zeche zahlt?

Machtkonzentration ist ein Krisenphänomen. Sie legt nahe, dass die alte Ordnung nicht mehr aus sich selbst heraus erhalten werden kann, sondern nur noch mit Zwang, Kontrolle und Gängelung. Die Digitalisierung allein bringt genug an systemischer Sprengkraft, um den Mächtigen ein Dorn im Auge zu sein. Nennen wir nur zwei Elemente: freie Kommunikation und freies Geld.

Es war der Buchdruck, der einst das Monopol von Staat und Kirche auf Verbreitung von Druckerzeugnissen aufbrach. Heute gibt es private Kommunikation auf sicheren Kanälen, einen Schatz an verfügbarem Wissen im Internet, Bitcoin als unzensierbares Zahlungsmittel sowie Waffen aus dem 3D-Drucker. Frei verfügbare Technologie in den Händen von vielen ist die wirksamste Machtzerteilungsmaschine, die es je gab. Da man technologische Revolutionen nicht mehr rückgängig machen kann, bleibt nur der Versuch, dem Menschen die Selbstermächtigung auszureden oder sonst wie zu verleiden.

Auch die Demokratie beschreibt eine Fortsetzung der Konstellation von Herr und Knecht, von Herrschenden und Beherrschten, wusste schon Hannah Arendt. In den letzten beiden Jahren wurde diese besonders offensichtlich, als Politiker die Pflicht des Bürgers zum Gehorsam betonten. Auch Demokratien lassen sich von innen in totalitäre Gebilde umbauen, die nur noch der Fassade nach demokratisch sind.

Dies hatte der amerikanische Politikwissenschaftler Sheldon Wolin in seinem Buch «Umgekehrter Totalitarismus» dargelegt. Heute vollzieht sich der Verfassungskreislauf hinter den Kulissen. Statt eines klassischen Führers steuern anticharismatische Politiker ein Narrenschiff der Bürokratie, auf welchem nichts tiefer begründet zu werden braucht; es genügt, auf unausweichliche Notwendigkeiten, alternativlose Pläne oder den wissenschaftlichen Konsens zu verweisen.

Wer das nicht will, weiss vielleicht nur nicht, dass er es vielleicht doch will. Aus diesem Grund wird in totalitären Demokratien ein besonderes Augenmerk auf Konditionierung, Nudging und Anreize gesetzt. Der Bürger wird dressiert wie ein Zirkusäffchen. Ist dies erst mal geglückt, kann man den Zugang zur äußeren Welt getrost mit QR-Codes pflastern. Die Selbstermächtigung des Einzelnen kann aus Sicht der Regierenden am besten durch eine Schwächung des Freiheitswillens erreicht werden. «Die Furcht vor Freiheit» ist ein Dauerthema, es taucht in den Schriften von Etienne de la Boétie auf, bei Erich Fromm oder Václav Havel.

Es geht um Oben gegen Unten

In den heute herrschenden technokratischen Denkmustern vom anreizhörigen «homo oeconomicus» ist Freiheitsverzicht eine Frage des – faulen – Deals. Das Kernproblem ist die Delegierung der Verantwortung an andere unter Verzicht auf Freiheit im Austausch für Komfort. In anderen Worten: Trägheit setzt sich durch. Überall wo Passivität, Ablenkung, Unterhaltung, Infantilität oder Sedierung im Spiel sind, steht der Bürger vor dem größten Hindernis zur Selbstermächtigung: ihm selbst.

Es geht in diesem System nicht mehr um links oder rechts, sondern um die vertikale Frage: Bin ich Herr über mich selbst oder vielleicht doch nur ein abhängiger, sozialversicherter und medikalisierter Sklave in freiwilliger Knechtschaft?

Es ist egal, unter welchem Banner ein totalitäres System entsteht, ob es rot, braun, grün, arztkittelweiss oder regenbogenbunt ist. Der autoritäre Geist kann in jedes System Einzug halten. Es entfaltet auf Parteigänger jeglicher Couleur eine magnetische Wirkung, wie das Licht auf die Motte. Linke sehen endlich die Möglichkeit, ohne rote Linien «Gutes zu tun».

Konservative sehen oft ihre Sehnsucht nach Übersichtlichkeit, Ordnung und Disziplin bedient. Liberale machen letztlich ohnehin überall mit. So entsteht ein Monstrum, das sich von seiner Gefolgschaft nährt. Es konsumiert nur, schafft jedoch nichts Neues. Am Ende verschlingt es sich selbst, in einem finalen kannibalistischen Affekt.

Gegen einen Block der Autoritären braucht es einen Block der Anti-Autoritären. Die Möglichkeit zu Selbstorganisation, zu Vernetzung und Kooperation ist die größte Stärke der vielen gegen die Ermächtigung der wenigen. Hier liegt die Chance für politische Bewegungen und neue Allianzen, die bisher nie versucht worden sind. Die Vereinigung der Machtskeptiker. Die Bastion der souveränen Einzelnen. Die nächste politische Bewegung wird eine libertäre Revolution sein.

Dabei geht es nicht darum, dass jeder tun kann, was er will. Sondern dass niemand tun muss, was er nicht will. Kooperation und Vernetzung sind urmenschliche Eigenschaften, die dem Homo Sapiens die Herrschaft über die Welt gebracht haben und eben nicht den Schimpansen. Mit den gleichen Mitteln lässt sich die Herrschaft der wenigen über die vielen beenden. Die Idee des Herrschens über andere, die ebenso frei und gleich an Rechten geboren sind, ist eine Idee mit Verfallsdatum. Und jeder einzelne bestimmt für sich, wann dieser Zeitpunkt gekommen ist.

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Dieser Artikel ist zuerst in der Weltwoche sowie zuletzt auch auf Matuscheks Plattform Freischwebende-Intelligenz.org erschienen. Transition News durfte ihn mit freundlicher Genehmigung des Autors übernehmen.

Milosz Matuschek, geboren 1980 im polnischen Bytom, ist Jurist und Publizist. Studium der Rechts- und Sozialwissenschaften in München, Paris, Regensburg und Berlin. Rechtsvergleichende Promotion im Strafrecht und der Rechtsphilosophie. Autor mehrerer Bücher und zahlreicher Beiträge für überwiegend deutschsprachige Medien wie Neue Zürcher Zeitung, F.A.Z., SZ, Welt Cicero Online.

Sein neues Buch «Wenn’s keiner sagt, sag ich’s» kann hier bestellt werden.

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